Eine Studie zeigt: längere tägliche Fastenzeiten im Ramadan wirken sich im Schnitt positiv auf die Schulleistung muslimischer Jugendlicher aus. IslamiQ befragt den Autor nach den Hintergründen.
IslamiQ: In den bisherigen Studien hat man sich immer auf die unmittelbaren negativen Auswirkungen des Fastens auf die Leistungsfähigkeit konzentriert. Sie haben die positiven Auswirkungen untersucht. Was war der Anlass einer solchen Studie und wieso sind Sie in Ihrer Fragestellung von den restlichen Studien „abgewichen“?
Prof. Dr. Erik Hornung: Als wir unsere Forschungsidee entwickelten, hatte die Literatur bereits gezeigt, dass Prüfungsleistungen, die während des Ramadans abgelegt werden schlechter ausfallen. Insofern war es für uns interessant die längerfristige Perspektive einzunehmen und zu verstehen, ob das auch längerfristige Konsequenzen hat. Wir waren durchaus überrascht, als unsere Ergebnisse so robuste positive Effekte zeigten.
IslamiQ: Sie sprechen davon, dass Schülerinnen und Schüler, die einen intensiven Ramadan erleben, mittelfristig davon profitieren können, weil sie ihre soziale Verhältnisweisen ändern würden. Welche genauen Veränderungen sind hier gemeint?
Hornung: Hier müssen wir etwas spekulieren, da uns für viele interessante Aspekte, die Daten und damit die Evidenz fehlt. Wozu wir Daten und Evidenz haben, ist der Besuch von Gottesdiensten. Es zeigt sich, dass der Besuch von Gottesdiensten in der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen in den Jahren zunimmt, in denen der Ramadan intensiver ist (längere Fastenzeit). Das gilt übrigens nicht für ältere Personen, sondern nur in dieser Altersgruppe. Auf der Grundlage von Forschung in der soziologischen Literatur spekulieren wir, dass der Besuch von Gottesdiensten dazu führt, dass man ein breiteres soziales Netzwerk hat und eine gemeinsame Identität mit den Menschen aufbaut, mit denen man diese religiöse Erfahrung teilt, insbesondere in der Jugendzeit. Beides kann zu besseren schulischen Leistungen führen, wie die soziologische Literatur für andere Religionen gezeigt hat.
IslamiQ: In Ländern mit mehrheitlich nicht-muslimischer Bevölkerungen zeigte sich der Leistungseffekt laut Studie nicht. Welche Maßnahmen müssten getroffen werden, um den gleichen Leistungseffekt in diesen Bevölkerungen erzielen zu können?
Hornung: Das ist ein Missverständnis. Wir erwarten gar keinen Leistungseffekt in Ländern mit mehrheitlich nicht-muslimischer Bevölkerungen, weil die Bevölkerung dort eben keinen Ramadan praktiziert bzw. fastet. Das ist ein Beleg dafür, dass es nicht die Länge der Sonnenscheindauer per se ist, die so einen Effekt überall erzeugt, sondern der Effekt nur dort entsteht, wo die Menschen auch den Ramadan praktizieren. Im Übrigen zeigen die Daten auch einen Leistungseffekt in nicht-muslimischen, europäischen Ländern, wenn man sich hier nur Schülerinnen und Schüler anschaut, die aus einem muslimisch geprägten Elternhaus kommen, also vermutlich den Ramadan praktizieren.
IslamiQ: Die Fastenzeit wird sich aufgrund der Verschiebung des Ramadans in den kommenden Jahren immer weiter verkürzen. Welche Rolle spielen längere Fastenzeiten für das Ergebnis?
Hornung: Da wir in unserer Studie die Veränderung in der Länge der Fastenzeit untersuchen, ist entsprechend unseren Ergebnissen zu erwarten, dass eine kürzere Fastenzeit einen geringeren positiven Effekt auf die Leistungen hat.
IslamiQ: Was ist unter der „identitätsstiftenden Wirkung“ des Ramadans zu verstehen?
Hornung: Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Effekt in solchen Schulen stärker ist, die einen höheren Anteil von Schülerinnen und Schüler haben, die aus einem muslimisch geprägten Elternhaus kommen. (Diese Ergebnisse finden wir auch, wenn wir uns europäische Länder anschauen.) Wir spekulieren, dass das gemeinsame Erleben des Ramadans auch innerhalb der Schulklasse dazu führt, dass sich eine Art neue gemeinsame Identität bildet, die sich förderlich auf die Schulleistungen auswirkt. Dabei berufen wir uns z.B. auf eine Studie, die gezeigt, dass die gemeinsame Pilgerfahrt nach Mekka, zu einer gemeinsamen Identität der Pilger führt.
IslamiQ: Welche Rückmeldungen haben Sie bis jetzt zu Ihrer Studie erhalten?
Hornung: Außerhalb der Wissenschaftscommunity setzen sich nur wenige Menschen mit der Studie so weit auseinander, um zu verstehen, dass wir mittelfristige Effekte messen. Unsere Studie ist keine Empfehlung für das Fasten nach den Regeln des Ramadans zur Steigerung der Leistung, da gibt es weit effizientere Wege. Unsere Studie impliziert eher, dass die Teilnahme an religiösen Ritualen in Gruppen unter Umständen zu besseren Leistungen führen kann.
Das Interview führte Enise Yılmaz.