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DIY-Blog „Dattelbeere“ – den Islam kindgerecht und kreativ leben

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? Wir stellen querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma. Heute Vanessa Tanrıverdi.

03
06
2023
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Vanessa Tanrıverdi und ihr Blog Dattelbeere
Vanessa Tanrıverdi und ihr Blog Dattelbeere © Privat, bearbeitet by iQ

Vanessa Tanrıverdi ist Bloggerin, Journalistin, Unternehmerin und zweifache Mama. Sie betreibt den Do-it-Yourself Blog „dattelbeere“. Dort zeigt sie, wie Eltern mit einfachen Mitteln eine kindgerechte Religionspraxis selbst gestalten können.

IslamiQ: Sie sind bekannt für Ihre kreativen Ideen und Tipps. Wie kam es zu der Idee eines Blogs? Können Sie uns Ihre Arbeit etwas näher beschreiben?

Vanessa Tanrıverdi: Begonnen hat es 2018. Meine Familie und Freunde legten mir nahe, mit meinen Tipps an die Öffentlichkeit zu gehen. Einfach, weil es aus mir mit Kreativität sprudelt. So entstand die Idee, zu zeigen, wie wir zu Hause den Islam kindgerecht leben. Wir sind eine interkulturelle Familie. Ich bin Deutsche. Mein Mann ist in Deutschland geboren und hat türkische Wurzeln. Im Laufe der Zeit stieß mein Blog auf viel Resonanz, weshalb ich das Ganze nun hauptberuflich mache. Ich konnte einen Onlineshop etablieren, habe mein eigenes Büro und eigene Mitarbeiter. Aktuell sind wir überwiegend im Produktdesign etabliert. Der Blog ist dagegen etwas in den Hintergrund gerückt.

IslamiQ: In Ihrer Arbeit verbinden Sie Islam und Interreligiosität. Können Sie sagen, dass Sie dadurch, dass sie konvertiert sind, einen anderen Blick auf die Religion haben? Sehen Sie es als Vorteil und Inspiration für Ihre Arbeit? 

Tanrıverdi: Eine Inspiration ist es auf alle Fälle. Das war auch der Startpunkt. Dadurch, dass ich konvertiert bin, habe ich die Möglichkeit gehabt, alles von null auf zu lernen. Mein Zugang zum Islam ist also später erfolgt und manche Fragen haben sich erst später ergeben. Nachdem ich selbst Mutter geworden bin und meinen Kindern auch den Islam mitgeben möchte, musste ich ein wenig kreativ werden. Ich habe keinen Erfahrungsschatz, auf den ich mich berufen kann. Als Kind habe ich nun mal die christlichen Feiertage miterlebt. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und geschaut, was gibt es, was kann man machen? Nachdem ich nicht ganz fündig geworden bin, entschied ich mich, selber etwas zu machen. Ob es ein Vorteil ist? Das kann ich so nicht sagen. Ich glaube, dass man das gleiche Fundament hat, auch wenn man mit dem Islam aufgewachsen ist. Also da ist auf jeden Fall Spielraum.

IslamiQ: Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit? Haben Sie da vielleicht eine Marktlücke gefüllt?

Tanrıverdi: Ja, ich denke schon. Es war nie eigentlich der Plan. Ich dachte zu Beginn, ich gehe mit meinen Tipps an die Öffentlichkeit. Dann habe ich aufgrund der Resonanz gemerkt, wie hoch das Interesse und der Bedarf auch in der muslimischen Community ist. Mein Ziel war auch, zu zeigen, dass der Islam auch in Deutschland angekommen ist. Wenn man über den Tellerrand hinausschaut, sieht man, dass man uns in vielen Dingen weit voraus ist, sei es in Großbritannien, in den USA oder sogar in Australien. Wir in Deutschland ziehen etwas hinterher. Allerdings muss man dazu sagen, dass es viel besser geworden ist. Als ich 2018 angefangen und 2019 den Shop aufgebaut habe, war es noch viel schwieriger. Natürlich ist es auch immer die Konkurrenz, die diese Produkte auch mitentwickeln. Ich bin als Mutter dankbar dafür, dass ebenso ein breites Angebot gemacht wird, da der Bedarf nach wie vor groß ist. Das kann ich alleine überhaupt nicht decken.

IslamiQ: Wie sind Sie auf den Namen „Dattelbeere“ gekommen? 

Tanrıverdi: Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, welcher Name wohl passend sei, und habe dann in Analogie zu unserer Familienkonstellation zu Hause gedacht. Die Dattel repräsentiert den türkischen Teil, aber mit auch eben den Islam, der bei uns zu Hause praktiziert wird. Dann brauchte ich noch ein deutsches Pendant, was mich auch ein Stück weit widerspiegelt. Kartoffel wäre sehr naheliegend, aber Dattelkartoffel hätte sich nicht so reizend angehört. Dann war die Idee der Erdbeere da, oder Beeren. Generell findet man sie ja in Deutschland öfter. Dadurch entstand die Dattelbeere, einfach um zu zeigen, dass die Kombination aus Deutschland und Islam möglich ist.

IslamiQ: Wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?

Tanrıverdi: Dadurch, dass ich gerne kreativ bin, gehören Malen und Zeichnen zu meinen Hobbys. Das nutze ich natürlich auch beruflich. Ich bin sehr dankbar, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Ansonsten bin ich sehr gerne draußen in der Natur unterwegs. Mit meiner Familie, mit meinem Mann, mit meinen zwei Söhnen. Wir sind viel an der frischen Luft, erkunden Abenteuer, sind oft auf Spielplätzen. In NRW sind wir auch viel mit dem Fahrrad unterwegs. Die Familienzeit steht für mich an oberster Stelle.

IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?

Tanrıverdi: Mein Lieblingsbuch. Gar nicht so innovativ, ist tatsächlich Harry Potter, auch in der Originalsprache. Ich habe damals als Kind die deutsche Ausgabe gelesen. Später habe ich sie mir dann erneut auf Englisch zugelegt. Ich kann es wirklich jedem ans Herz legen, sie in der Originalsprache zu lesen. Aber ja, ich bin ein großer Harry Potter Fan. Auch Filme sind in der Originalsprache viel authentischer. Bei Filmen schlafe ich immer ein. Daher bin ich nicht so die Filmliebhaberin. Zuletzt habe ich Monsieur Claude und seine Töchter geschaut. Ich fand ihn auch echt gut. Es ist ein interkultureller Film. Es geht um einen Vater, der vier Töchter hat. Alle vier heiraten Männer aus unterschiedlicher kultureller und religiöser Zugehörigkeit. Der Film passt auch zur Dattelbeere. Eine Komödie, sehr lustig.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Tanrıverdi: Für mich hat Familie oberste Priorität. Sie ist also immer an oberster Stelle. Ich habe gestern noch ein Reel auf Instagram gesehen. Gezeigt wurde auf Englisch das Wort friend, auch girlfriend und boyfriend. Alle drei haben die Endung -end. Außer das Wort family, das auf -y endet. Sehr interessant. Für mich steht Familie über alles. Außerdem habe ich den großen Vorteil, dass ich auch noch eine riesengroße türkische Familie habe. Daher habe ich sehr viel Liebe an Familie zu geben und auch ganz viel Liebe, die zurückkommt. Für mich sind familiäre Zeiten sind wirklich wichtig.

IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Leben / Berufsleben?

Tanrıverdi: Die Geburt meiner Söhne. Das wird wahrscheinlich jede Mutter oder auch jeder Vater unterstreichen. Der Moment, wo die eigenen Kinder geboren werden. Im beruflichen Leben ist es ähnlich. Da würde ich sagen: die Geburt neuer Produkte. Besonders bei Kinderbüchern habe ich es sehr stark. Die emotionale Verbindung, wenn man Bücher schreibt und dann auch illustriert.

Ich arbeite mittlerweile mit Illustratoren zusammen. Man sieht die Illustrationen zunächst nur in digitaler Version. Doch wenn das Buch dann ankommt, man es in der Hand hält und sieht, wie das Werk wirklich vollendet ist. Es ist mit einer der schönsten Momente. Schöne Momente sind auch, wenn ich Kundenrezensionen lese und Fotos bekomme. Ich sehe, in welchen Bereichen die Bücher eingesetzt werden, sei es im interreligiösen Kontext, im Kindergarten oder in der Schule. Zum Beispiel wurden mir Theaterstücke geschickt, die aus den Büchern erstellt wurden. Das ist etwas, wo ich sehr dankbar für bin und mein Herz wirklich schneller schlägt. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Zu sehen, was man geschaffen hat, und es in so unterschiedlichen Kontexten eingesetzt wird und der muslimischen Gemeinschaft auch weiterhilft.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Tanrıverdi: Ich denke auf jeden Fall liebevoll, aber auch sehr chaotisch. Und, um das Ganze zu kompensieren, bin ich sehr diszipliniert.

IslamiQ: Haben Sie ein Lebensmotto? 

Tanrıverdi: Ich glaube, kein direktes. Es gibt einen Satz, den ich sehr schön finde. Ich meine sogar, es ist ein Hadith. Und zwar ist es, „wenn du eine Sache nicht kennst, stehst du ihr alsbald feindlich gegenüber“. Der passt ein bisschen auch zu meiner Arbeit, zu dem interreligiösen Ansatz und Dialog, den ich fördern möchte. Die Idee, dass man einander kennenlernen muss, um einander wertschätzen zu können.

IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie, um dieses Ziel zu erreichen? 

Tanrıverdi: Ich wünsche mir, dass meine Familie und ich, persönlich wie auch familiär, glücklich sind. Dass wir dem Weg Allahs folgen und es schaffen, eine Islam-Praxis zu leben, die uns ins Paradies eingehen lässt. Beruflich gesehen ist es ähnlich. Ich bin sehr dankbar, dass ich einen Beruf ausüben darf, der nicht nur mein Konto füllt. Natürlich ist das mein Hauptberuf. Ich lebe davon. Allerdings bekomme ich viele Bittgebete, von Kunden und Kundinnen. Das ist etwas, wo ich sehr dankbar für bin. Mein Ziel ist es tatsächlich, zu zeigen, dass der Islam zu Deutschland gehört und dass wir als muslimische Community in Deutschland einen wichtigen und wertvollen Platz haben.

IslamiQ: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der Sie erstmals mit der Identitätsfrage (Islam und Deutschland) konfrontiert waren?

Tanrıverdi: Als ich begonnen habe, ein Kopftuch zu tragen. Es ist der visuelle Teil. Für jeden Außenstehenden wurde dann ersichtlich, dass ich muslimisch bin. Die Kombination „Vanessa“ und „Kopftuch“ – das passt eben nicht in jede vorgefertigte Schublade. Konfrontation würde ich es nicht nennen. Ich bin noch nie rassistisch angegriffen worden. Es gab viele Fragezeichen und Antworten, die ich geben musste.

IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.

Tanrıverdi: Akzeptanz. In erster Linie Akzeptanz und ein Gemeinschaftsgefühl, das gestützt wird durch gegenseitige Wertschätzung. Ein Aufeinander zugehen, unabhängig davon, welche Religionszugehörigkeit man hat. Da möchte ich gar nicht für mich singulär sprechen. Ich zähle mich zu der muslimischen Gemeinschaft. Ich weiß, dass ich auch an einer privilegierten Position stehe, dadurch, dass ich den Zugang zu Social Media und eine bestimmte Reichweite habe. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Menschen, die das nicht haben, die vielleicht auch der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind oder auch erst gerade hierher geflüchtet sind. Dass auch diesen Menschen mit Offenheit und Akzeptanz entgegengetreten wird, und die Wertschätzung wirklich an oberster Stelle steht.

Der interreligiöse Dialog ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt, wo auch noch viele Baustellen sind und noch viel gearbeitet werden muss. Ich glaube, es ist auch eine Generationsfrage. Ich bin Anfang 30 und glaube, dass wir jetzt in der Generation sind, in der es noch Punkte gibt, mit denen wir uns befassen müssen. Ich bin zuversichtlich und habe das Gefühl, dass es besser wird. Ich hoffe, dass spätestens unsere Kinder viel offener aufeinander zugehen. Auch, dass wir uns vielleicht in 20 Jahren mit dieser Frage gar nicht mehr auseinandersetzen müssen, weil es eben selbstverständlich geworden ist.

Das Interview führte Recep Yılkın.