Nötiger Fortschritt oder menschenrechtlicher Tabubruch? Die Meinungen zum Durchbruch in den Verhandlungen über eine große europäische Asylreform könnten unterschiedlicher kaum sein.
Die mit Unterstützung der Bundesregierung vereinbarten Pläne für eine weitreichende Reform des europäischen Asylsystems sorgen für Empörung und Kritik. Deutsche Grünen-Abgeordnete verurteilten am Freitag das von Spitzenpolitikern ihrer Partei mitgetragene Projekt als unmoralisch und unvereinbar mit europäischen Werten. Ungarn und Polen übten hingegen scharfe Kritik an der geplanten Pflicht zur Solidarität bei der Aufnahme von Asylsuchenden in Europa und kündigten Widerstand an.
„Solange es die PiS-Regierung geben wird, werden wir nicht zulassen, dass uns irgendwelche Migrationsquoten, Quoten für Flüchtlinge aus Afrika, aus dem Nahen Osten, für Araber, Muslime oder wen auch immer auferlegt werden“, sagte Polens nationalkonservativer Regierungschef Mateusz Morawiecki in Warschau. Der ungarische Staatssekretär Bence Retvari sprach von Machtmissbrauch der EU. Brüssel wolle nun „mit Gewalt“ Migranten verteilen.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit verteidigte unterdessen die Pläne. Das bisherige Asylsystem in Europa habe nicht mehr funktioniert, sagte er in Berlin. Beim Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg sei ein wichtiger Schritt gelungen, nämlich eine „solidarische Lösung“ in dieser Frage hinzukriegen.
Das gelte für die Anrainerstaaten des Mittelmeeres, die mit einer massiven Flüchtlingswelle konfrontiert seien und damit nicht allein gelassen werden wollten. Andererseits wolle man auch nicht akzeptieren, dass unregistrierte Flüchtlinge durch Europa reisen. Hier müsse es wieder ordentliche Verfahren geben. Ähnlich äußerte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Die EU habe gezeigt, dass sie handlungsfähig sei, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstag).
Für den Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Ali Mete, kommt die Umsetzung des Asylverfahrens einer humanitären Katastrophe gleich. „Die Islamische Gemeinschaft ist sehr besorgt über die Richtung, in die sich Deutschland und Europa in der Asylpolitik bewegen. Die in Diskussion stehende Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen wäre ein großer Rückschritt für die Menschenrechte“, so Mete weiter. Deshalb fordere die IGMG die Bundesregierung erneut eindringlich dazu auf, elementare Errungenschaften wie das Recht auf Asyl nicht auszuhöhlen. (dpa, iQ)