Glossar

Was bedeutet „Islamismus“?

Islamische Begriffe werden oft missbraucht und verlieren dadurch ihre eigentliche Bedeutung. Im IslamiQ Glossar geht es um die ursprüngliche Bedeutung der Wörter. Heute der Begriff „Islamismus“.

05
08
2023
Was bedeutet "Islamismus"
© shutterstock, bearbeitet by iQ.

Bei dem Begriff „Islamismus“ handelt es sich linguistisch um eine Derivation (Ableitung). Mit der Endung „–ismus“ wird aus dem Namen der islamischen Religion eine negativ konnotierte Bezeichnung „Islam+ismus“ abgleitet. Bemerkenswert ist, dass weder aus der Bezeichnung „Christentum“ oder „Judentum“, noch aus Bezeichnungen anderer Religionen eine negativ bewertete Bezeichnung stammt.

In der Forschung wird der Begriff „Islamismus“ teilweise als Synonym für die Begriffe „islamischer Fundamentalismus“, „Integrismus“ oder „islamischer Nativismus“ verwendet. Oft verschwimmen dabei die Trennlinien zwischen den synonymen Bezeichnungen. 

Ursprünge

Der Begriff „Islamismus“ bezieht sich auf die Reformbewegung innerhalb der islamischen Welt des späten 19. und 20. Jahrhunderts, die durch die Rückbesinnung auf die Religion eine Erneuerung bzw. Reform in den unterschiedlichen Lebensbereichen anstrebte. Diese Reformbewegung war eine Reaktion auf die Erschütterungen, die durchlebt wurden. Dabei stellte sich neben dem „Islamismus“ auch der Sozialismus und der arabische Nationalismus als eine mögliche Erlösung dar. Daher war der „Islamismus“ nicht nur eine Revolte gegen die Moderne, sondern vielmehr ein Aufstand gegen die ungerechten politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse. 

Als Vorreiter für die islamische Reformbewegung gelten die Reformisten Dschamal al-Din al-Afghani (1838-1897), Mohammad Abdu (1849–1905) und Raschid Reda (1865-1935). Sie führten die Ursachen der vermeintlichen intellektuellen Rückständigkeit auf einem starren, inflexiblen Islamverständnis (arab. Taglid) zurück. Sie haben sich daher für eine Reform des Islams durch zeitgemäße Auslegung des Korans und der Sunna ausgesprochen, um an den wahren Islam der Altvorderen anzuknüpfen. Hierfür wurde eine Reformierung innerhalb der Gesellschaft, mit Zustimmung der politischen Herrschaft angestrebt, sprich: ohne einen revolutionären Umsturz zu propagieren.

Entstehung

Manche Forscher datieren die Entstehung des Islamismus aus der Gründung der Muslimbrüderschaft in Ägypten (1928) und der Dschamat-i Islami (Islamische Gemeinschaft) 1941 in Pakistan. Beide Ereignisse können als Folge bzw. eine Entwicklung der Reformbewegung gesehen werden. Seit dieser Zeit wird „Islamismus“ als Sammelbegriff betrachtet, der die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Veränderungen in Bezug auf den Islam umfasst. Mit der iranischen Revolution gewann der Begriff an Bedeutung und wurde mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Verbindung gebracht. 

Im Zuge des 11. Septembers erlebte der Begriff eine Hochkonjunktur, verliert dagegen seine zentrale Kernbedeutung als eine soziale, gewaltfreie Reformbewegung, die auf den Islam zurückgreift. Seit dem 11. September verschiebt sich die Bedeutung des Begriffs vorwiegend ins semantische Feld „Gewalt“ und „Terror“. Im öffentlichen Diskurs wird der Islamismus mit Formulierungen wie „Dschihadismus“ und „religiösen Terrorismus“ in Verbindung gebracht. 

Leserkommentare

Salim Spohr sagt:
Salam. Ich finde, wir sollten die Sache mit dem sogenannten „Islamismus“ nicht unnötig kompliziert machen. Dazu schlage ich vor, die Historie der Verwendung dieses Wortes erst einmal außen vor zu lassen und sich auf seine Semantik zu konzentrieren. — Bedeutet das Anhängsel „… ismus“ grundsätzlich eine unangemessene Verschärfung, eine Übertreibung, ein Exzess dessen, woran es angehängt wird, so würde „Islamismus“ eine unangemessene Verschärfung oder eine Übertreibung des Islams bedeuten, was, wie sich zeigt, der Sache nach nicht möglich ist. Das erinnert mich an eine gesellige Veranstaltung muslimischer Vereine irgendwo in Deutschland von vor Jahren, auf der ich von einer Journalistin vor laufender Filmkamera gefragt worden war, ob ich ein „Islamist“ wäre. Da hatte ich ihr erklärt: Das wäre ja eine merkwürdige Frage: Denn das Anhängsel „Ismus“ zeige ja an sich schon eine Übertreibung an. Da Islam „Unterwerfung unter den Willen Gottes“ bedeute, es aber unmöglich wäre, diese zu übertreiben, wäre das zusammengesetzte Wort „Islamismus“ einfach Unsinn, ein Quatschwort, und sie sollte sich doch bitte vorher überlegen, was sie vernünftigerweise fragen könne. Wenn Dr. Saif in jenem Wort eine „negativ konnotierte Bezeichnung“ sieht, ist das zwar nicht falsch, aber doch nicht genau genug. Erst wenn man erkennt, daß es die Übertreibung ist, die seinen negativen Sinn ausmacht, hat man das Mittel an der Hand, sich gegen die Verwendung überhaupt dieses Wortes erfolgreich zu wehren. Fordern einige Muslime, wie beispielsweise Murat Gümüş, eine „Begriffsänderung“, so ist das hinter dieser Forderung stehende Motiv sicher gut und ehrenhaft, nur ergib sich bei deren Ausführung ein neues Problem, das, genauer besehen, nur eine Facette des schon genannten ist: Sofern es nämlich wahr ist, daß „Islamismus“ (wie jener Journalistin oben erklärt) als ein in sich unsinniges Wort gelten muß, ein Wort also, das recht eigentlich keine Bedeutung hat, das ist, ihm gar kein Begriff entspricht, wie sollte es da möglich sein, für solch einen Unsinn bzw. etwas, das es gar nicht geben kann, ein neues Wort zu finden? Und auf der Grundlage gerade ausgeführter Semantik jenes Wortes ist man zugleich jeder historischen Untersuchung enthoben.
06.08.23
15:25
Dilaver_Ç. sagt:
"Islamist" ist längst ein Schimpfwort für Muslime geworden, welche sich von der gegenwärtigen politischen Konjunktur nicht vereinnahmen sowie von antimuslimischen Rassisten sich nicht einschüchtern lassen. Dabei muss man als Muslim nicht einmal politisch aktiv oder gar interessiert sein.
07.08.23
22:14
Evergreen sagt:
Es gibt christlichen Fundamentlismus (auch mit Gewaltbejahung) und jüdischen Fundamentalismus und jüdischen Rassismus (manchmnals nennen sich Juden auch selber so) und eben auch Gewaltbejahung und Anwendung im Namen des Islam, also aus einer islamistischen Grundeinstellung. In der Regel berichtet IslamiQ bei Opfern nur von muslimschen Opfern durch Nichtmuslime - und zwar weltweit. Durch diese Einseitigkeit macht sich IslamiQ unglaubwürdig. Ich vermisse zum Beispiel einen Bericht über den tödlichen Anschlag auf den schiitischen Schrein Schah-Tscheragh am 13.8.2023. Noch weiß man nicht, wer dahintersteckte. Den Angaben zufolge richtete sich der Angriff gegen den Schrein Schah-Tscheragh in der Stadt Schiras - dieser war bereits 2022 Schauplatz eines tödlichen Anschlags gewesen. Dort waren im Oktober vergangenen Jahres 13 Menschen getötet und 30 weitere verletzt worden. Den Angriff reklamierte später die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) für sich.
15.08.23
23:25
Evergreen sagt:
Es gibt christlichen Fundamentlismus (auch mit Gewaltbejahung) und jüdischen Fundamentalismus und jüdischen Rassismus (in Einzelfällen nennen sich Juden auch selber so) und eben auch Gewaltbejahung und Anwendung im Namen des Islam, also aus einer islamistischen Grund-einstellung. In der Regel berichtet IslamiQ bei Opfern nur von muslimschen Opfern durch Nichtmuslime - und zwar weltweit. Durch diese Einseitigkeit macht sich IslamiQ unglaubwürdig. Ich vermisse zum Beispiel einen Bericht über den tödlichen Anschlag auf den schiitischen Schrein Schah-Tscheragh am 13.8.2023. Noch weiß man nicht, wer dieses Mal dahintersteckte. Doch man hätte dran erinnern können, dass es bei diesem schiitischen Schrein bereits Oktober 2022 einen Anschlag gegeben hat, dabei 13 Menschen getötet und 30 weitere verletzt wurden und für den Angriff sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) selber verantwortlich erklärt hatte. Warum informiert IslamiQ einseitig?
15.08.23
23:41
Abdussamed sagt:
Kleine Korrektur: Die Begriffe Judaismus und Christianismus gibt es tatsächlich auch. Das sollte man gerechterweiße erwähnen.
16.08.23
8:54