Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Elif Yakac über die Bedeutung der muslimischen Flüchtlingshilfe.
IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?
Elif Yakac: Ich bin Elif Yakac, Politikwissenschaftlerin, Hochschuldozentin und Trainerin für Diversity und Rassismuskritik. Mein akademischer Weg startete mit dem Studium der Politik- und Islamwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Die Kombination dieser beiden Fächer entsprach genau meinen Interessen – so sehr, dass ich bereits während meines Bachelorstudiums wusste, dass ich in diesem Bereich promovieren würde.
IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?
Yakac: Der Titel meiner Dissertation lautet: „Muslimische Wohlfahrtsanbieter als korporative Akteure in der Flüchtlingshilfe“. Ich analysiere die Rolle, Einflüsse und Integration der muslimischen Wohlfahrtsakteure in kommunale Wohlfahrtsstrukturen. Dieses Thema ist von hoher Aktualität geprägt. Die Betrachtung der muslimischen Gemeinschaft erfolgt nicht mehr ausschließlich im Kontext der Integrationspolitik, sondern ihre Bedeutung als wesentliche Akteure im zivilgesellschaftlichen Bereich rückt zunehmend in den Fokus der politischen Debatte. Besonders das Engagement muslimischer Wohlfahrtsanbieter, in Folge der gestiegenen Zahl von Geflüchteten ab dem Jahr 2015, hat hier eine prägende Rolle eingenommen. Ihre sprachlichen und religiösen Ressourcen haben sie zu sichtbaren Akteuren in der Flüchtlingsarbeit gemacht, wodurch sie in den meisten Kommunen als wertvolle Kooperationspartner agieren.
Exakt an diesem Punkt manifestiert sich mein Forschungsinteresse. In meiner Dissertation untersuche ich die Wechselwirkungen dieses Verhältnisses auf die muslimische Wohlfahrtsarbeit und ihre Integration in bestehende Wohlfahrtsstrukturen. Dazu führe ich Experteninterviews sowohl mit den AkteurInnen der muslimischen Wohlfahrtspflege als auch mit kommunalen VertreterInnen durch. Ein zentrales Anliegen meiner Untersuchung ist es herauszufinden, ob diese Beziehung eher temporärer Natur ist oder ob sie sich allmählich in die Strukturen der kommunalen Wohlfahrtsarbeit integriert. Dies ermöglicht eine tiefgreifende Analyse der Dynamiken und Entwicklungstendenzen im Kontext dieser wichtigen sozialen Schnittstelle.
IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Yakac: Es war nicht ein einzelnes spezifisches Erlebnis, sondern vielmehr eine Kombination verschiedener Faktoren, die meine Entscheidung für dieses Thema beeinflusst haben. Mein Anliegen bestand darin, ein islamwissenschaftliches Thema mithilfe politikwissenschaftlicher Methoden zu untersuchen. Nachdem ich mich in meiner Masterarbeit intensiv mit internationaler Flüchtlingspolitik beschäftigt hatte und dadurch mein Interesse an Flüchtlingsfragen geweckt wurde, suchte ich nach einem Thema, das diese Schwerpunkte miteinander verknüpfte.
Darüber hinaus fiel mir während meiner Masterarbeit sowie bei einigen Hausarbeiten während des Studiums auf, dass die Literatur zu MigrantInnenorganisationen, insbesondere zu muslimischen Organisationen, die oft zu MigrantInnenorganisationen gezählt werden, oft sehr begrenzt war. Auffällig war zudem, dass die Schwerpunkte dieser wenigen Publikationen im Rahmen der Integrationspolitik lagen, wodurch die Vielsichtigkeit dieser Organisationen kaum in der Organisations- oder Politikforschung berücksichtigt wurde.
Wie bereits erwähnt, konnte in den letzten zehn Jahren eine leichte Zunahme an Publikationen beobachtet werden, die die Rolle muslimischer Organisationen als Akteure der Zivilgesellschaft untersuchten. Es ist jedoch klar, dass viele Aspekte der muslimischen Organisationen sowie generell der MigrantInnenorganisationen wissenschaftlich noch deutlich unterbelichtet sind. Zusammenfassend kann ich daher sagen, dass meine Entscheidung, mich mit dem Thema der muslimischen Wohlfahrt zu beschäftigen, auf meinen Interessen und meinen Studienbeobachtungen beruht.
IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht?
Yakac: Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit für die außergewöhnlich hochwertige Betreuung, die ich im Rahmen meiner Promotion genieße. Besonders hervorzuheben ist die exzellente Unterstützung meiner Doktormutter, Prof. Dr. Ulrike Krause, sowie meinem Doktorvater Prof. Dr. Michael Kiefer. Diese dualen fachlichen Anleitungen stellen für mich eine immense Bereicherung dar, indem sie mir ermöglichen, von ihrer umfassenden Expertise sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf persönlicher Ebene zu profitieren.
Zusätzlich habe ich das Privileg vom Avicenna Studienwerk gefördert zu werden. Das Stipendium stellt für mich nicht nur eine finanzielle und ideelle Förderung dar, sondern es bietet mir auch einen bedeutsamen Mehrwert auf verschiedenen Ebenen. Es eröffnet mir den Zugang zu einem inspirierenden Netzwerk von Gleichgesinnten, die ebenfalls hochmotiviert sind, ihre akademischen Ziele zu erreichen. Diese Gemeinschaft bietet eine Plattform für den Austausch von Ideen, Wissen und Erfahrungen, die über die Grenzen meiner eigenen Fachrichtung hinausgehen. Insgesamt kann ich sagen, dass Avicenna meinen akademischen Werdegang nachhaltig beeinflusst und bereichert.
In Bezug auf negative Erfahrungen in meiner Promotion würde ich den kontinuierlichen Druck erwähnen, der aufgrund der Aktualität meines Forschungsthemas unaufhörlich auf mir lastet. Die zunehmende wissenschaftliche Fokussierung auf das Thema muslimische Wohlfahrt in den letzten Jahren stellt für mich eine doppelte Herausforderung dar. Einerseits bietet sie Möglichkeiten, andererseits aber auch Schwierigkeiten. Ich bin dazu verpflichtet, stets auf dem aktuellen Stand zu bleiben und die Veröffentlichungen in diesem Bereich stets im Auge zu behalten. Selbstverständlich hege ich auch die Sorge, dass ähnliche Erkenntnisse von anderen ForscherInnen vor der Veröffentlichung meiner Dissertation publiziert werden könnten. Hier sei jedoch erwähnt, dass diese Sorge von vielen anderen DoktorandInnen gleichermaßen getragen wird und daher kein einzigartiges Merkmal meiner Situation ist.
IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?
Yakac: Ich wünsche mir, dass meine Doktorarbeit nicht nur der muslimischen Gemeinschaft, sondern auch der gesamten Gesellschaft zugutekommt. Sie könnte einen Beitrag dazu leisten ein tieferes Verständnis für die Vielfalt der Wohlfahrtsakteure zu entwickeln und ihr Potential für Deutschland zu erkennen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Untersuchung der strukturellen Ebene zu, da sie sowohl die Integration als auch mögliche Hindernisse für muslimische Wohlfahrtsakteure in bestehenden Strukturen beeinflussen kann.
Ich hoffe darauf, dass meine Dissertation eine äußerst relevante Arbeit von allgemeinem Interesse sein wird.
Das Interview führte Muhammed Suiçmez.