Wir sprachen mit dem Executive Secretary der Eurpopäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) über den Länderbericht 2014 zu Deutschland und wie man Rassismus insgesamt besser begegnen kann.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wurde von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten des Europarates im Jahr 1993 beschlossen. Ziel war es die wachsenden Probleme mit allen Formen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz in ganz Europa zu bekämpfen. Seit 1994 veröffentlicht die ECRI in regelmäßigen Abständen Länderberichte und gibt allgemeine politische Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten. Außerdem bemüht sich die ECRI um eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen – vor allem mit Nichtregierungsorganisationen – um den europaweiten Kampf gegen Rassismus und Intoleranz zu stärken.
Wir sprachen mit dem Executive Secretary der ECRI, Stephanos Stavros, über den jüngsten Deutschlandbericht der ECRI, den Fall Thilo Sarrazin und wie man im Bereich Rassismus und Intoleranz in Deutschland nachbessern könnte.
IslamiQ: In dem Länderbericht, der 2014 für Deutschland veröffentlicht wurde, werden einige positive Entwicklungen in der Bundesrepublik gewürdigt. Gleichzeitig wird aber von „schwerwiegenden Sorgen“ berichtet. Welche Dinge werden konkret bemängelt?
Stephanos Stavros: Wie die Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarates aufzeigt, unternimmt Deutschland ernsthafte Anstrengungen, um Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Intoleranz und Diskriminierung auf Grundlage von Hautfarbe, ethnischem Ursprung, Staatsangehörigkeit, Religion und Sprache zu bekämpfen. Trotzdem muss, wie in vielen europäischen Ländern auch, noch ein langer Weg zurückgelegt werden. Die besorgniserregenden Themen sind das enge Verständnis des Konzeptes von Rassismus, der Anstieg der Hassverbrechen, der Umgang der Strafverfolgungsbehörden und des Strafrechtssystems mit Rassismus und Homo-/ Transphobie, rassistische Profilerstellung von Seiten der Polizei, das Ausbleiben von Reaktionen gegen fremdenfeindliche Diskurse, die Diskriminierung von Migranten und Roma im Bildungssystem und in der Arbeitswelt, der Erziehungsansatz zu LGBT Anliegen und die Behandlung von Transsexuellen im Allgemeinen.
Einige der Gesetze können verbessert werden. Zum Beispiel sollten Richter verpflichtet sein, Verbrechen mit rassistischen Motiven härter zu bestrafen. Mit anderen Worten: Die Umsetzung des Gesetzes ist unbefriedigend. Zum Beispiel weiß die ECRI, dass viele Opfer zögern, Hassverbrechen der Polizei zu berichten, weil sie Zweifel am Erfolg ihrer Beschwerden haben.
IslamiQ: Im Bericht wird auch die Diskussion um Thilo Sarrazin ausdrücklich erwähnt. Was denken Sie, was der Grund dafür ist, dass die SPD Sarrazin nicht aus der Partei ausschließt?
Stephanos Stavros: Es ist schwierig über die Gründe zur Rücknahme des Antrages des SPD-Vorstandes zum Ausschluss von Thilo Sarrazin aus der Partei zu spekulieren. Es ist aber deutlich, dass die ECRI die Erklärung von Thilo Sarrazin, dass „er nicht beabsichtige Migranten und andere Gruppen zu diskriminieren“ nicht als befriedigend betrachtet. Die ECRI erwartet eine strengere Reaktion der SPD. Die ECRI hat stets die besondere Verantwortung betont, die politische Parteien im Kampf gegen Rassismus und Intoleranz innehaben – in ihrem öffentlichen Diskurs und im Bestreben das Bewusstsein unter ihren Mitgliedern zum Bedürfnis des Respektes bestimmter Standards zu steigern. Politische Parteien haben diese Verantwortung, weil sich in vielen Fällen, die Behörden nicht in ihre interne Arbeit einmischen können. Es ist selbstverständlich, dass im Falle von Thilo Sarrazin die SPD nicht der einzige Betroffene ist, der hätte reagieren sollen. Die ECRI kritisiert auch das Versagen der Behörden.
IslamiQ: Dies ist Ihr fünfter Bericht über Deutschland. Hat Deutschland, besonders im Hinblick auf die vergangenen Berichte, Ihre Kritik und Verbesserungsvorschläge wahrgenommen und dementsprechend gehandelt?
Stephanos Stavros: Tatsächlich hat ECRI die deutschen Behörden zu vielen Schritten beglückwünscht, die diese unternommen haben, um Rassismus und Intoleranz zu bekämpfen: Maßnahmen wurden unternommen, um Migrantenkindern im Bereich der Bildung zu fördern, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat effektive Sensibilisierungskampagnen durchgeführt und förderte den Gebrauch des anonymen Bewerbungsverfahrens, verschiedene Landesregierungen haben eigene Antidiskriminierungsstellen eingerichtet, das Bundesverfassungsgericht hat Beschlüsse gefasst, die den LGBT Personen entgegen gekommen sind, und die Bundesbehörden haben zugestimmt, internationale Verpflichtungen anzunehmen, um Rassismus im Internet effektiver zu bekämpfen.
Außerdem gibt es auch einige ermutigende Zeichen. Nach einer Umfrage betrachten 50 % der Bevölkerung, dass die Integrationsdebatte zu negativ geführt wurde. 70 % glauben, dass die Anliegen zu Vielfalt, Toleranz und Respekt für Personen mit Migrationshintergrund ausführlicher in der Schule behandelt werden sollten. Und 74 % der Bevölkerung befürworten die Abschaffung aller Unterschiede zwischen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Ehen. Auf der anderen Seite steigt die Unterstützung für extremistische Gruppen in einigen Teilen des Landes. Darüber hinaus sind die Angaben zu Hassverbrechen Grund zur Sorge. Und nach der ECRI gibt es Anzeichen, dass die Dunkelziffer zu diesen Hassverbrechen viel höher ist, als vermutet.
IslamiQ: Ist es denn möglich, Rassismus mit Rechtsgrundlagen zu vermeiden?
Stephanos Stavros: Gegen den tagtäglichen Rassismus kann das Gesetz nicht das einzige Werkzeug sein. Trotzdem ist es das wichtigste Werkzeug. Das Strafrecht vermittelt eine sehr wichtige Nachricht. Dies ist der Grund, weshalb die ECRI empfiehlt, dass Gesetze die Verpflichtung von Richtern anordnen sollen, alle Verbrechen strenger zu bestrafen, wenn sie aus rassistischen Motiven begangen werden. Darüber hinaus muss das Gesetz wirksam umgesetzt werden.
Opfer sollten ermutigt werden, Fälle bei der Polizei anzuzeigen oder bei den Schulverwaltungen, in Fällen von Schulkindern. Besondere Fähigkeiten werden benötigt, um Opfern das Gefühl von Sicherheit zu geben. Dies ist der Grund, weshalb die ECRI die Entwicklung der Expertise in der Polizei ermutigt, wie mit Hassverbrechen umgegangen werden muss. Sie empfiehlt zudem eine Ausbildung der Lehrer zu Anliegen der Vielfalt.
Vor allem sollte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gestärkt werden, um die Rechte von Opfern in Deutschland zu schützen. Alternativ dazu sollte jedes Bundesland seine eigene Stelle einrichten.
IslamiQ: Gibt es für den Rassismus im Alltag eine Lösung?
Stephanos Stavros: Niemand sollte Zweifel daran haben, wie schwierig es ist den Rassismus aus dem täglichen Leben auszumerzen. Trotzdem lohnt es sich, dafür zu kämpfen. Es gibt viele Werkzeuge, die man dazu heranziehen kann: Bildung, Sensibilisierungskampagnen, das Unternehmen von Aktionen im Umfeld von Sport, Konzepte gegen Rassismus im Internet und die Beteiligung der Unterstützung von politischen Parteien und prominenten Menschen, die Vorbilder sein können.
IslamiQ: Glauben Sie, dass, nach der Veröffentlichung des Berichtes, es weitere positive Entwicklungen geben wird?
Stephanos Stavros: Wie bereits angemerkt, gab es einen Fortschritt im Kampf gegen Rassismus und Intoleranz in Deutschland. Die nationalen Behörden übernehmen hierzu die Verantwortung. Natürlich haben sie dazu von vielen internationalen Gremien Ratschläge erhalten, einschließlich der ECRI. Wir glauben, dass sie uns wegen unserer Expertise (die ECRI besteht aus unabhängigen Experten aus den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates), der Seriosität, in welcher wir unsere Berichte vorbereiten (Nachforschungen und vor Ort Kontakte mit allen relevanten Interessensgruppen) und wegen der ausgeglichenen Zusammensetzung unserer Empfehlungen zugehört haben.