Eigentlich sollte es auf der Islamkonferenz um Muslimfeindlichkeit gehen. Kurz vorher wird die Tagesordnung mit dem Thema Antisemitismus erweitert. Statt dem bekannten Dialog mit muslimischen Vertretern, gab es diesmal einen Monolog. Ein Kommentar.
Jap, ein weiterer, eventuell ziemlich unnötiger Kommentar zur Deutschen Islamkonferenz (DIK), die ich trotz meiner Besessenheit für die App X (Twitter) bis vor 2 Tagen, nicht wirklich auf dem Schirm hatte. Ich warf einen Blick auf das Programm, die Gäste und die Reden und war ziemlich perplex, aber leider nicht wirklich überrascht.
Die Fähigkeit, überrascht sein zu können, habe ich bedauerlicherweise vor einiger Zeit, insbesondere bezüglich der hiesigen Migrations- und Islamdebatte, verloren. Obwohl die Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (oder seines Bruders Helmut – man weiß ja nie?), der Zuwachs an Antisemitismus in Deutschland liege an der Zuwanderungspolitik, hat mich schon ein wenig vom Hocker gehauen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Ein deutsches Sprichwort, das eine Freundin und Kollegin bezüglich der DIK und ihrer Gäste äußerte, beschreibt den geistigen Zustand der DIK meiner Meinung nach ziemlich gut: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Dazu komme ich noch später.
Anders als in früheren Jahren nahmen an den Gesprächsforen keine Vertreter*innen des Koordinationsrats der Muslime (KRM) teil. Zu den Mitgliedern des KRM gehören: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD), der Zentralrat der Muslime (ZMD), Union der Islamisch-Albanischer Zentren in Deutschland und Zentralrat der Marokkaner in Deutschland. Ergo, die Vertreter von knapp 2.000 der 2.400 Moscheen und Kultureinrichtungen waren nicht eingeladen. Eine offizielle Begründung der fehlenden Einladung gab es wohl nicht.
Nur um das mal klarzustellen: Das sollte jetzt keine Werbeunterbrechung für die islamischen Religionsgemeinschaften sein, jedoch finde ich es wichtig, dass Ausmaß aufzuzeigen – eine „Islamkonferenz“, bei der muslimische Vertreter nur zuhören durften. Auf der Konferenz wurde im Großen und Ganzen nicht „mit“ Muslimen oder muslimischen Vertretern geredet, aber so einiges „über sie“.
Das ursprüngliche Thema der Konferenz war die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft. Während ich das schreibe, zwinkert mir der 400 Seiten umfassende Bericht des, von der DIK beauftragten, Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) zu, den ich bisher noch nicht gelesen habe und aber zeitnah tun sollte. Im Bericht wird ausführlich dokumentiert, in welchen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, Muslime bzw. als muslimische gelesene Menschen von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind. Gerade im Hintergrund der fast täglich stattfindenden rechtsextremen Angriffe auf Muslime, Moscheen, kulturelle Einrichtungen und auch Restaurants ein sehr wichtiges, etwas verspätetes Thema würde man sagen. Jedoch gab es zusammenhängend mit den Anschlägen vom 7.Oktober, den ausgebrochenen Krieg im Nahost und den antisemitischen Ereignissen in Deutschland eine „kleine“ Ergänzung im Programm. Das Thema der Islamkonferenz hieß nun: „Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit UND Antisemitismus in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung“.
Die Gastgeberin Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begann ihre Eröffnungsrede mit den unmittelbaren Auswirkungen der Ereignisse im Nahen Osten auf Deutschland. Die DIK möchte deshalb als ein Forum des Dialogs wirken und sei einmalig in Deutschland. Sie sprach über eine Diskussion auf Augenhöhe, über Offenheit und gegenseitigem Respekt. Wie könne man Muslimfeindlichkeit in Deutschland bekämpfen? Die Frage, die unmittelbar daraufhin folgte: Wie könne man Antisemitismus in unserer Einwanderungsgesellschaft wirksam begegnen?
Faeser stellte klar: „Die furchtbaren Terrorattacken der Hamas kennen kein ‚Aber‘. Denn dieser Terror verachtet alles, was wir an Werten haben.“ Wegen der Shoah sei Israels Sicherheit deutsche Staatsraison, bekräftigte sie. „Wer Bürger dieses Landes werden will, muss das wissen.“ Auch das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung sei zu betrauern. Muslime wurden anschließend in die Pflicht genommen: Es reiche nicht, Synagogen zu besuchen und sich klar gegen Antisemitismus zu erklären, wenn dies nicht auch in den islamischen Gemeinden, in Freitagspredigten, auf Veranstaltungen, auf Social-Media-Kanälen kommuniziert werde. Überall solle der Antisemitismus und der Terror der Hamas verurteilt werden.
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulf, der mit seiner Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ am Tag der Deutschen Einheit insbesondere unter Muslimen quasi zum Ritter geschlagen und bejubelt wurde, hielt ebenfalls eingangs der Veranstaltung eine Rede. Ein kleiner Rückblick zur berühmt-berüchtigten Aussage: In dieser Zeit diskutierte man tatsächlich über die Zugehörigkeit von Muslimen in Deutschland, das ja eigentlich „jüdisch-christlich“ geprägt sei. Woraufhin einige wiederum meinten, dass (anders als die Aussage des Altbundespräsidenten) nicht der Islam zu Deutschland gehöre, sondern die Muslime. All das mitten in der hitzigen Debatte um den beliebten Talkshow-Gast Thilo Sarazzin und sein Buch „Deutschland schafft sich ab“, in der ich mich damals völlig verwirrt fragte, gehöre ich jetzt als kopftuchtragende, hier geborene Muslimin zu Deutschland oder nicht? Das ist jetzt mehr als 13 Jahre her. Viel weiter gekommen scheinen wir irgendwie nicht zu sein, auch wenn ich schon lange aufgehört habe, mir die Frage nach meiner Zugehörigkeit zu stellen.
Ich schweife etwas ab. In seiner Rede in der DIK rief Christian Wulff Muslime zur Selbstkritik auf. Antisemitismus sei im Koran, der islamischen Geschichte und in der religiösen Erziehung verankert. Muslime müssten sich dieser Wahrheit stellen. Für Wulff müsste es allen Muslimen klar sein, dass man nicht mehr in der Zeit der Propheten Muhammad lebe, wo Juden vertrieben wurden, sondern im Jahr 2024. Aus diesem Grund sollten auch Muslimen gegen Antisemitismus kämpfen. Abschließend folgte ein etwas nostalgischer und nach all den Einwürfen nichtssagender „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Nach dieser Rede bin ich mir über seinen Titel als Ritter nicht mehr wirklich sicher.
Zusammenfassend wurde oft die Wichtigkeit von Dialog, Zusammenarbeit, Respekt, Diskussion auf Augenhöhe und der gemeinsame Kampf gegen Muslimfeindlichkeit betont – allerdings mit einem sehr großen ABER und einem komischen, etwas unangenehmen Beigeschmack. Der Inhalt all dieser Reden und das Wissen, dass wichtige Gäste gefehlt haben, ist mittlerweile vielen von uns allzu bekannt: Die Reden vom Wirtschaftsminister Robert Habeck und dem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zum Nahostkrieg und ihre Auswirkungen auf Deutschland beispielsweise hätten sehr zu DIK gepasst.
In beiden Reden wurden Muslime und arabischstämmige Menschen unter Generalverdacht gestellt und dazu aufgefordert, sich vom Antisemitismus zu distanzieren. Laut Habeck würden Muslime ihren eigenen Anspruch nach Toleranz unterlaufen, wenn sie sich nicht klar genug von Antisemitismus distanzieren würden. Wichtige palästinensische und muslimische Gäste fehlten auch auf all den Talkshows, wo über den Krieg in Nahost und ihre Auswirkungen auf Deutschland diskutiert wurde.
Wer die in den letzten Wochen die Nachrichten und diese Talkshows etwas genauer verfolgt hat, wird feststellen können, dass viele der langen Monologe und Tiraden vieler Politiker und Gäste sich auf die Sätze „Muslime sollen sich von Terror und Antisemitismus distanzieren“ und „Muslime und muslimisch gelesene Menschen stellen ein Sicherheitsproblem dar, herunterbrechen lassen.
Die Liste könnte man erweitern. Wenn man auf all die Distanzierungen und Presserklärungen von islamischen Religionsgemeinschaften aufmerksam machen möchte, die den Terror der Hamas und antisemitische Vorfälle verurteilen, dann ist es nicht schnell genug, nicht verurteilend genug, nicht umfassend genug, zu relativierend – einfach NICHT GUT GENUG. Erwähnt sei auch, dass ein überwiegender Teil der antisemitischen Straftaten dem rechten Spektrum zuzuordnen ist.
Vielleicht werden mir viele fehlende Kritikfähigkeit vorwerfen. Dabei ist Kritik essenziell. Als Muslimin sind mir die vielen Problemen und Lücken innerhalb der muslimischen Gemeinden durchaus bewusst. Muslime und muslimische Gemeinden sollten im Bereich der politischen Bildung, viel mehr leisten. Jedoch ist es doch sinnvoll, Menschen, die kritisiert werden, auf der gleichen Plattform auch die Möglichkeit zu geben, sich bezüglich der Kritik öffentlich äußern zu dürfen, oder habe ich eine komplett abwegige Haltung was Dialog und Debattenkultur angeht?
Jetzt komme ich zum oben genannten Sprichwort, das ich nicht einfach so eingebracht habe. Ein Dialog mit Menschen, die aufgrund eines öffentlichen und politischen Amtes und/oder aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit eine privilegierte Position haben, die zudem auch noch gleiche Ansichten zu einem politischen und gesellschaftlichen Thema vertreten, ist lediglich ein Dialog von Gleichem mit Gleichem. Ein Dialog aus einer Komfortzone von und für Privilegierte und Gleichgesinnte.
Zu solch einer Tagung, die gerade in den Zeiten des zunehmenden Rechtsrucks durchaus wichtig ist, gehört es sich, zudem Mitglieder und Vertreter einer vulnerablen Minderheit einzuladen, die von antimuslimischem Rassismus und Muslimfeindlichkeit betroffen ist, um ihnen eine Möglichkeit zu bieten, ihre Perspektive und auch ihre Ängste einzubringen. Dass Antisemitismus und alle etwas angeht und wir alle eine Verantwortung diesbezüglich tragen, ist keine Frage. Jedoch ist es wichtig, wie man diese Verantwortung zu Ausdruck bringt und der Forderung nach einem wahrhaftigen Dialog, Zusammenarbeit, gegenseitigem Respekt und Diskussion auf Augenhöhe selbstgerecht wird. Hoffen wir mal, dass ich nächstes Jahr nicht einen weiteren wirren Kommentar zur Islamkonferenz zu verfassen und sich Gleiches, wenn auch nur ungern, mit Ungleichem gesellt.