Europäischer Gerichtshof

Muslime und Juden kritisieren EuGH-Urteil zum Kopftuch am Arbeitsplatz

Einem aktuellen EuGH-Urteil zufolge sei ein Verbot religiöser Zeichen, wie das Kopftuch, in Behörden zulässig und stelle keine Diskriminierung dar. Muslime und Juden kritisieren das umstrittene Urteil.

02
12
2023
Justiz und Kopftuchverbot
Symbolbild: Justiz © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Der Vorsitzende des Islmrats, Burhan Kesici, hat das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum sichtbaren Tragen religiöser Zeichen, auf Anfrage von IslamiQ, als problematisch bezeichnet. Das Urteil treffe erneut in erster Linie muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen. Grund dafür sei, dass andere Religionen keine Vorschriften haben, die von Außen so wahrnehmbar sind, wie das Kopftuch. „Wir haben in Deutschland seit Langem die Situation, dass muslimische Frauen mit ihrem Kopftuch an Schulen und Behörden arbeiten können. ich hoffe, dass diese Entscheidung nicht dazu führt, dass sich die Gesetzeslage in Deutschland ändert“, erklärt Kesici abschließend.

Für den den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, erwecke das Urteil den Eindruck, als wäre dies „ein Freibrief für den Arbeitgeber, das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten“.

Oberrabbiner nennt Urteil verstörend

Auch der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, kritisiert das EuGH-Urteil als verstörend. Dies sei ein „Angriff auf das Grundrecht der Religionsfreiheit“, schreibt der ehemalige Moskauer Oberrabbiner in der „Jüdischen Allgemeinen“. Zwar sei es im konkreten Fall um ein muslimisches Kopftuch gegangen. Allerdings führe das Urteil zu einem „Kollateralschaden“ unter Juden und Jüdinnen in Europa: „Wenn mit höchstrichterlicher Bestätigung religiöse Symbole selbst aus den Hinterzimmern europäischer Amtsstuben verbannt werden, gilt das auch uns“, so Goldschmidt.

Urteil: Behörden dürfen Kopftuch verbieten

Laut EuGH-Urteil kann eine öffentliche Verwaltung Beschäftigten das sichtbare Tragen des islamischen Kopftuchs, eines Kreuzes oder einer Kippa untersagen. So ein Verbot sei dann gerechtfertigt, wenn es darum gehe, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu schaffen, so die Richter. Eine solche Regel sei nicht diskriminierend, wenn sie allgemein und unterschiedslos auf das gesamte Personal angewandt werde und sich auf das absolut Notwendige beschränke.

Ein Arbeitsgericht im belgischen Lüttich hatte den EuGH um Auslegung des EU-Rechts gebeten. Anlass war der Rechtsstreit einer muslimischen Gemeindebediensteten um ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz.

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Dem EuGH zufolge steht den Mitgliedstaaten und deren Behörden ein Wertungsspielraum bei der Ausgestaltung der Neutralität des öffentlichen Dienstes zu. Eine „Politik der strikten Neutralität“ ist demnach ebenso mit den Grundsätzen der Religionsfreiheit und des Diskriminierungsverbots vereinbar wie die gegenteilige Entscheidung, das Tragen von Zeichen religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen zu erlauben. Bedingung sei, dass das Ziel der Neutralität in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werde und die Mittel zur Durchsetzung sich auf das Nötigste beschränkten. Es sei Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt seien. (KNA, iQ)

Leserkommentare

Evergreen sagt:
Der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) : „ Das Urteil treffe erneut in erster Linie muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen. Grund dafür sei, dass andere Religionen keine Vorschriften haben, die von außen so wahn- nehmbar sind, wie das Kopftuch. „ Hier maßt sich der Vorsitzende des Islamrats die Kompetenz eines Kalifen an: Fälschlich unterstellt er, dass Allah im Koran für Musliminnen die Vorschrift des Kopftuchs festlege. 1] Auch Burhan Kesici setzt sich über den Koran hinweg. MAN interpretiert einfach zum Beispiel Sure 24 Vers 31 falsch; hier ist etwas ganz Anderes gemeint. In Wirklichkeit verfolgt MAN ganz andere Interessen. (Mann darf auch Nichtmusliminnen heiraten, Musliminnen müssen kontro- lierbar unter sich bleiben und dürfen nur einen Muslim heiraten,) 2] In Deutschland trägt die überwältigende Mehrheit der Musliminnen kein Kopftuch (und haben auch kein Problem mit dem Urteil). 3] Nur ein kleiner Bruchteil der Muslime in Deutschland sind Mitglied in einem der Islamverbände. Es ist beängstigend, wenn der Vorsitzende des Islamrats Burhan Kesici durch seine Wortwahl indirekt der Mehrheit der Musliminnen das wahre Muslimsein abspricht. Solches Denken fördert muslimischen Rassismus und schürt Ängste. Wenn Religionsfunktionäre die Kopftuchfrage immer wieder, immer wieder für ihre Zwecke instrumentalisieren (wie im Iran), machen sie sich unglaubwürdig und es fehlt ihnen die Kraft für Wichtigeres, wie man Bereitschaft zum Kompromiss fördern könnte. Gerade jetzt sollte IslamiQ dem Präsidenten der Konferenz Europäischer Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, eine Anfrage stellen in einer dringenderen Frage als dem Kopftuch: Pinchas Goldschmidt hat den Vornamen nach dem Eiferer Pinchas (Sohn des Eleasar), welcher nach der Tora jedem IS-Dschihadisten Konkurrenz machen könnte. Wie stehen der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner und die Mehrheit der dort vertretenen Rabbiner zu der Siedlerfrage im Westjordanland? Wie sehen sie hier das Verhältnis von Tora einerseits und Völkerrecht andererseits? Wie stehen sie zu den Vorstellungen der rechtsreligiösen Parteien in Israel, welche kaum einen Kompromiss möglich machen. Ben-Gvir, Minister für die Nationale Sicherheit Israels inklusive des Westjordanlandes, präsentierte bis in das Jahr 2020 in seinem Wohnzimmer bei Hebron im Westjordanland ein Foto von Baruch Goldstein, einem radikalen amerikanisch-israelischen Siedler, der 1994 in Hebron 29 Palästinenser beim Morgengebet am Ibrahim-Grab ermordet hatte. In dieser Frage „ Verhältnis von Tora und Völkerrecht im WESTJORDANLAND“ sind die Rabbiner auch in Europa, ja der ganzen Welt gefragt.
03.12.23
1:04