Bewerber für Einbürgerungen sollen in Sachsen-Anhalt ab sofort ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels ablegen. Für Prof. Dietrich Thränhardt seien die Forderungen nicht sinnvoll.
IslamiQ: Sachsen-Anhalt hat das Anerkennen des Existenzrechts Israels für die Einbürgerung zur Pflicht gemacht. Wie beurteilen Sie diesen Schritt im Kontext des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts?
Dietrich Thränhardt: Das ist eine Anordnung, die aus der aktuellen Aufregung um die Gewalttaten in Israel/Palästina zu verstehen ist, das historische Trauma Holocaust auf den Einbürgerungsprozess verlagert und damit externalisiert. Rechtlich ist die Forderung meiner Ansicht nicht haltbar, sie würde vor Gericht scheitern.
IslamiQ: Könnte solch eine Bedingung den Einbürgerungsprozess, insbesondere für Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, beeinflussen? Wenn ja, was halten Sie davon?
Thränhardt: Ja, es entsteht ein Klima des Verdachts gegenüber Gruppen, die mit dem Nahostkonflikt in Beziehung gesetzt werden. Das kann zu Problemen in der Verwaltungspraxis beitragen. Ich halte die Forderung nicht für sinnvoll.
Besonders nach dem 7. Oktober werden Forderungen laut, Menschen mit antisemitischen Ansichten die Staatsbürgerschaft zu verweigern. Da nahezu alle Einbürgerungswilligen einen Migrations- und Fluchthintergrund haben, wird argumentiert, dass diese Forderung Stereotype gegenüber Migranten verstärken könnte.
IslamiQ: Wie stehen Sie zu dieser Kritik? Ist Antisemitismus in Deutschland ein migrantisches/“importiertes“ Phänomen?
Es ist legitim, Menschen mit rassistischen, antidemokratischen oder antisemitischen Ansichten die Einbürgerung zu verweigern. Angesichts der deutschen Geschichte ist die besondere Erwähnung von Antisemitismus richtig. Antisemitismus hat eine lange deutsche und europäische Geschichte. Der Begriff ist in Deutschland erfunden worden. Das Phänomen hat sich weltweit verbreitet und kommt mit Einwanderungen auch nach Deutschland zurück.
IslamiQ: Kann damit Antisemitismus bekämpft werden?
Thränhardt: Es wird eine Norm in der Öffentlichkeit und im Verwaltungsprozess durchgesetzt. Das hat Auswirkungen.
IslamiQ: Wird sich diese Entscheidung auf Sachsen-Anhalt beschränken, oder ist eine Erweiterung auf andere Bundesländer zu erwarten?
Thränhardt: Ich gehe zunächst davon aus, dass das auf Sachsen-Anhalt beschränkt bleibt. Eventuell kommen noch ein oder zwei Länder hinzu.
IslamiQ: Der Begriff „Staatsräson“ ist gerade in letzter Zeit sehr präsent. Dabei handelt es sich um einen politischen und keinen rechtlichen Begriff. Jedoch scheint dieser immer mehr auf das Rechtssystem Einfluss zu nehmen. Wie bewerten Sie den Begriff in diesem Zusammenhang?
Thränhardt: Helmut Schmidt hat die Formulierung, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsraison, als „gefühlsmäßig verständliche, aber törichte Auffassung“ kritisiert. Gleichwohl hat sie sich in der Politik weitgehend durchgesetzt. Rechtlich ist sie bisher nirgendwo verankert. Der Begriff Staatsräson stammt von Machiavelli und steht quer zu demokratischen Traditionen.
IslamiQ: Wie schätzen Sie die Konsequenzen, solch einer Bedingung zur Einbürgerung für eine ohnehin schon turbulenten Migrationsdebatte in Deutschland, ein?
Thränhardt: Ich nehme an, dass er aus der Debatte wieder verschwindet, wenn sie sich neuen Themen zuwendet oder wenn ein Verwaltungsgericht die Lage bereinigt.
IslamiQ: Wie bewerten Sie, dass staatsbürgerliche Regelungen von aktuellen politischen Entwicklungen wie dem Nahostkonflikt beeinflusst werden?
Thränhardt: Helmut Schmidt hatte vor Konsequenzen gewarnt, die eine „gefühlsmäßig verständliche“ Auffassung haben könne. Das staatliche Recht sollte sich nicht auf aktuelle internationale Ereignisse beziehen, sondern auf die demokratische Ordnung Deutschlands und deren Erfordernisse.
Das Interview führte Meltem Kural.