Vor vier Jahren wurden neun Menschen in Hanau bei einem rassistischen Anschlag getötet. Beim Gedenken richtet sich der Blick auch auf die Gegenwart.
Mit einer Kranzniederlegung und einem stillen Gedenken ist am Montag auf dem Hauptfriedhof in Hanau sowie an weiteren Orten an die neun Opfer des rassischen Amoklaufs vom 19. Januar 2020 erinnert worden. Vor Beginn der offiziellen Veranstaltung hatte Imam Macht Bozkurt vom islamischen Verein Hanau an den Gräbern von drei auf dem Friedhof bestatteten Opfern für die Toten gebetet.
Nach dem Bittgebet betonte Imam Bozkurt in seiner Ansprache, dass Fatih, Mercedes, Vili-Viorel, Kalojan, Hamza, Gökhan, Sedat, Said Nesar und Ferhat in noch jungen Jahren Opfer von Diskriminierung, Hass und von enthemmter Hetze gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund wurden.
„Wir gedenken heute keiner Fremden! Wir gedenken hervorragenden jungen Menschen Hanaus, unseren Freunden, unseren Nachbarn, die nichts verbrochen haben, die hier geboren, hier groß geworden, hier zur Schule gegangen sind“, so Bozkurt. Die Grabsteine der Opfer, seien laut Bozkurt nicht nur Grabsteine, sondern ein Mahnmal, um die „Mitmenschen und die kommenden Generationen zu ermahnen und daran zu erinnern, wohin Rassismus führen kann“.
Nach dem stillen Gedenken ging es weiter zur offiziellen Kranzniederlegung, an der auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilnahm. Sie hat am vierten Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau zu einem entschlossenen Kampf gegen Rechtsextremismus aufgerufen. Da es wieder Fantasien von Rechtsextremisten gebe, Menschen allein wegen ihrer Herkunft aus Deutschland wegbringen zu wollen, sei es umso wichtiger, sich dem entgegenzusetzen, sagte Faeser am Montag in Hanau. Stattdessen müsse man sich vor die Angehörigen der Opfer zu stellen und ihnen sagen: „Wir stehen an eurer Seite.“
„Niemand soll sich in Deutschland so fühlen müssen, dass er darüber nachdenkt, dieses Land zu verlassen“, sagte sie nach Ende der offiziellen Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags. „Wir als Staat sind der Garant dafür, dass alle Menschen geschützt werden, egal wo sie herkommen.“ Der Staat sei es den Hinterbliebenen schuldig, dass nach wie vor alle Fehler von Behörden im Zusammenhang mit dem Anschlag aufgearbeitet würden, betonte die Ministerin. Dazu müssten die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden, die der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags einstimmig beschlossen habe.
Am Samstag hatten mehrere Tausend Menschen in Hanau bei einer Demonstration der Opfer gedacht und gegen Rassismus und Rechtsextremismus demonstriert. Organisiert wurde die Kundgebung von der Initiative 19. Februar, in der sich Angehörige und Betroffene des Anschlags sowie Unterstützer zusammengeschlossen haben.
Bei der Abschlusskundgebung schilderten Angehörige der Opfer ihren Verlust, ihr Leid und ihre Wut und warnten vor einem zunehmenden Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland. Çetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan bei dem Anschlag getötet wurde, verwies auf einen wachsenden Zulauf für die AfD, der mittlerweile größer sei als vor vier Jahren. „Wir müssen uns fragen: Was machen wir falsch?“ Er rief zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Rechtsextremismus auf. Es müsse bei der Aufarbeitung des Anschlags zudem Schluss sein mit „Vertuschung, Ausreden und Lügen“, forderte Gültekin. „Erinnern heißt verändern“, betonte er und schloss seine Rede mit den Worten: „Wir machen weiter.“
Wie viele andere Rednerinnen und Redner kritisierte Ajla Kurtovic, die Schwester des Anschlagsopfers Hamsa Kurtovic, die Arbeit des Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags zu dem Anschlag. Der Ausschuss, der im Dezember seinen Abschlussbericht vorgelegt hatte, habe zwar Behördenversagen aufgedeckt, sei aber ohne politische Folgen geblieben. „Veränderung kann es nur geben, wenn es Aufklärung und Gerechtigkeit gibt“, sagte sie.
Emis Gürbüz, die Mutter des getöteten Sedat Gürbüz, kritisierte, dass es in diesem Jahr kein offizielles Gedenken gemeinsam mit den Familienmitgliedern und Freunden auf dem Marktplatz gebe, weil bei der Veranstaltung im vergangenen Jahr Reden von Angehörigen von offizieller Seite als „undankbar empfunden“ wurden. Zugleich bekräftigte sie die Forderung nach einem dauerhaften Mahnmal auf dem Marktplatz. Diesen Standort hält die Stadt jedoch für ungeeignet und favorisiert ein Mahnmal am geplanten Zentrum für Demokratie und Vielfalt wenige Gehminuten vom Tatort Heumarkt entfernt. (dpa, iQ)