Mit dem heutigen Tag endet der Fastenmonat Ramadan. Was bleibt sind das Leuchten der Laternen, gemeinsame Iftarabende und der Verzicht auf Weltliches. Unser Autor Ahmet Aydın erinnert sich an die romantisierenden Ramadanabende zurück.
„Leuchten die Laternen schon?“, war die häufigste Frage, die ich meiner Mutter früher im Ramadan stellte. Das Leuchten der Laternen erleuchtete nicht nur die Straßen. Es war in meiner Kindheit das Symbol eines überstandenen Fastentages. Zwar lebe ich nun nicht mehr mit meiner Mutter, doch der Blick zu den Laternen auf der Straße hat sich in mir eingeprägt. Die Liebe zu Laternen begleitet mich. In der Venloer Straße in Köln wurde die Öffentlichkeit sogar das erste Mal mit einer Ramadanbeleuchtung geziert und geschmückt.
Die Straßenlaternen leuchten auch, wenn nicht gerade Ramadan ist. Doch im Ramadan ist es anders. Der Schimmer scheint außergewöhnlich. Novalis würde sagen „romantisiert“. Das gewöhnliche Leuchten der Laternen erhält im Ramadan den Anschein des Außergewöhnlichen und Außerordentlichen. Als wäre es mystisch. Einfach wegen der Zeit, in der wir uns befinden: Ramadan. Es sind nicht bloß die Straßenlaternen. Der Gang in den Supermarkt, eine Bahn- und Autofahrt, ein Spaziergang – alles ist geistig aufgeladen. Novalis schreibt: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn … gebe, so romantisiere ich es.“ Durch das Fasten versetze ich mich in die Lage, in den Tätigkeiten und Aktivitäten meines Alltags einen hohen Sinn zu sehen.
Jeder Mensch isst. Doch wer isst, weil Allah es liebt, dass wir unseren Körper gesund erhalten? Wer trinkt etwas, weil Allah zürnen würde, wenn wir uns bewusst schaden würden? Der Begriff „romantisieren“ bedeutet bei Novalis Handlungen, die alltäglich und gewöhnlich sind, aus einer bewussten Absicht (arab. Niya) heraus zu tun. Da wir im Ramadan bewusst auf das Essen und Trinken verzichten, wird das Abendmahl zu einer Anbetung Allahs. Würden wir pünktlich zum Sonnenuntergang nicht essen und trinken, obwohl wir die Möglichkeit dazu haben, so stellte es eine Auflehnung gegen Allahs Gebote da. Der Fastende soll sein Fasten zeitig öffnen. Es ist keine Frömmigkeit noch länger zu warten und auszuharren. Die Ernährung des Körpers ist ein Gottesdienst. Das ist der Ramadan. Das ist das Romantisieren des Alltags.
Dadurch, dass ich die scheinbar so profane Handlung des Essens als einen Akt der Anbetung des Wahren, Guten und Schönen betrachte, gewinnt alles andere in meinem Leben an Wert. Mein ganzes Denken wird auf den Kopf gestellt während des Ramadans. Ich befinde mich in einem Zustand der Wachsamkeit und beginne andere Aspekte meines Handelns und Lebens zu hinterfragen. Mein Leben soll ein Akt der Anbetung werden. Nicht bloß mein Essen, auch mein Schlaf wird zum Gebet. Denn Muhammad (s), das Siegel der Propheten, sagte: „Der Schlaf des Fastenden ist eine Ibâda.“ (Beyhaki, Deylemi)
Diese Geisteshaltung ist es, die ich am meisten vermisse, wenn der Alltagstrott nach dem Ramadan wieder eintritt. Nicht viele Wochen vergehen und die Dankbarkeit für ein Glas Wasser nimmt ab. Novalis schrieb: „Mensch werden ist eine Kunst.“ Der Mensch unterscheidet sich durch den Verstand (arab. Akl) vom Tier. Das Tier wird beherrscht von Instinkten. Im Ramadan verzichten wir tagsüber sogar auf erlaubte Dinge. Wir nutzen unsere Willenskraft und sagen nein. Nein zum Glas Wasser, nein zum Mittagessen und andere körperliche Genüsse. Der Ramadan ist eine Hommage an die menschlichen Kräfte, die Allah in uns gelegt hat. Und dieses Potenzial, das ich im Ramadan nutze, vermisse ich am meisten.
Manchmal frage ich mich, wieso ich nicht außerhalb des Ramadans diese Kraft aufbringen kann, so diszipliniert zu leben. Dann fällt mir ein weiterer Aspekt ein, den ich sehr sehr vermisse: Gemeinschaft und Beisammensein. Das Bewusstsein gemeinsam mit anderen diesen Monat zu begehen, stärkt mich und meine Willenskraft. Ich bin Teil eines Kollektivs, das die ganze Welt umfasst.
Ich, der im Privaten doch manchmal so chaotische Poet, musste regelrecht Kalender führen, um die Einladungen zum Iftar zu organisieren. Das würden meine Nächsten niemandem glauben. Diese Besuche bei Verwandten und Freunden verleihen dem Leben Qualität. Zu keiner anderen Zeit finden wohl so viele Besuche statt wie im Ramadan. Wir kommen mit Menschen zusammen, mit denen wir den Akt des Essens und Trinkens zu einem Akt der Anbetung des Wahren, Guten und Schönen machen möchten. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl; umso außergewöhnlicher, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass es eine Ibâda ist, die wir nun gemeinsam verrichten. Jeder Fastende zieht seine Liebe zum Göttlichen seinem Verlangen vor. Novalis schreibt: „Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst“ erst erkannt und dann ersetzt. Nafs Ammara ist der koranische Begriff für „niedres Selbst“ und „Nafs Mutmain“ ist der koranische Begriff für das beste Selbst im Menschen.
Manchmal wird der körperliche Verzicht anstrengend und wenn ich mal sagte, dass ich müde bin und es anstrengend ist, sagten mir Brüder: „Dann faste nicht. Wer zwingt dich?“ Wie unendlich dankbar war ich ihnen dafür. Sie erinnerten mich an eine Weisheit, die ich bei Novalis las: „Ein Mensch kann alles dadurch adeln, seiner würdig machen, dass er es will.“ Ich faste und nehme die Anstrengung auf mich, weil ich mich für die Liebe Allahs entschieden habe. Weil ich Allah als einzig anbetungswürdiges Wesen anerkannt habe. Weil ich ihn als al-Hak, al-Birr und al-Dschamil anerkannt habe. Das heißt, er ist der Wahre, Gute, Schöne. Ich will dem Wahren, Guten und Schönen ergeben sein, also faste ich. Wenn ich jedoch über die Strapazen klage, störe ich meinen Akt der Anbetung. Ich werde es vermissen, dass wir Muslime uns auf diese Weise gegenseitig daran erinnern. Einen ganzen Monat lang leben wir in Ergebenheit gegenüber Allah und wissen, sämtliche Muslime auf der ganzen Welt tun in diesem Monat dasselbe. Dieser Gedanke ist atemberaubend.
Bei mir kommen zusätzlich zu Besuchen von Verwandten und Freunden Einladungen zu Vorträgen hinzu. Die muslimischen Geschwister, vom Bandarbeiter bis zum Akademiker, besuchen Vorträge über den Islam und die Weisheiten des Fastens. Sie stellen mir Fragen, die mich teilweise vor große Herausforderungen stellen und mich gerade deshalb glücklich machen. In einem Gedicht schrieb ich einmal: „Eine Weisheit, die mich nicht fordert, fördert mich auch nicht.“ Die Fragen der Geschwister fordern mich manchmal sehr und das sind die Momente, in denen ich wachse. Sie stellen die Fragen, um Allah näher zu kommen und ein von mehr Weisheit geprägteres Leben zu führen. Das erfüllt mich mit Freude.
Ich werde mir mehr und mehr bewusst: Ich bin nicht alleine. Ich bin nicht der einzige Mensch, der den Anspruch hat sich selbst zu bilden und zu erziehen. Es gibt sehr viele, die diesen Anspruch an sich haben, die Allah und seinen Gesandten Muhammad (s) lieben. Mir das bewusst zu machen, ist ein schwer in Worte zu fassendes Glück und ich mache Dua dafür, dass diese Gefühle über den Ramadan hinaus anhalten. Ich mache Dua dafür, dass wir von Zeit zu Zeit gemeinsam mit Geschwistern auch außerhalb des Ramadans fasten, um einen Hauch dieses humanisierenden und bildenden Monats weiterhin zu fühlen. Es gibt viel, dass ich vermissen werde und ich bitte Allah darum, dass er mich den nächsten Ramadan erleben und mich ihn nutzen lässt. Möge unser Band der Gemeinschaftlichkeit zunehmen. Âmîn.