Weite Teile der Weltgemeinschaft stärken den Palästinensern inmitten des Gaza-Krieges den Rücken: Die bekommen bei den UN nun mehr Rechte – und der internationale Druck auf die USA steigt.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen stärkt die Rolle der Palästinenser innerhalb des größten UN-Gremiums deutlich. Eine am Freitag mit überwältigender Mehrheit angenommene Resolution in New York räumt dem Beobachterstaat Palästina eine deutlich erweiterte Teilnahme an den Sitzungen der Vollversammlung ein, gibt ihm aber kein reguläres Stimmrecht. Zudem forderte das Gremium mit 193 Mitgliedsstaaten vom ausschlaggebenden Weltsicherheitsrat die „wohlwollende“ Prüfung einer Vollmitgliedschaft Palästinas.
Für die Resolution stimmten 143 Länder, 9 Staaten votierten dagegen. 25 Länder enthielten sich – darunter auch Deutschland, das Palästina nicht als unabhängiges Land anerkennt. Zusammen mit der Bundesrepublik enthielten sich Großbritannien, Italien, Österreich und die Ukraine. Israel lehnte den Antrag genauso ab wie sein Verbündeter, die USA. Europa zeigte sich gespalten: Eine Reihe Staaten wie Frankreich, Spanien und Portugal stimmten dem Antrag zu – Ungarn und Tschechien dagegen. Mit Ja votierten außerdem China und Russland, genauso wie der Iran, alle arabischen Staaten sowie die meisten Länder Afrikas und Südamerikas.
Die Vollversammlung stellt mit der Annahme fest, dass der „Staat Palästina (…) zur Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zugelassen werden sollte“ – der Sicherheitsrat solle diese „noch einmal wohlwollend prüfen“. Die USA bekräftigten, in diesem Fall erneut von ihrem Vetorecht im mächtigsten UN-Gremium mit seinen 15 Mitgliedern Gebrauch machen zu wollen. Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges wurde die Abstimmung auch als internationales Stimmungsbild zu den jüngsten Eskalationen im Nahostkonflikt gesehen. Bei den Vereinten Nationen gibt es eine deutliche Mehrheit für israelkritische oder propalästinensische Beschlüsse. Ein Vetorecht existiert in der Vollversammlung nicht.
Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur zeigte sich trotz der Blockade der USA im Weltsicherheitsrat zuversichtlich, eines Tages vollständiges Mitglied der Vereinten Nationen zu sein. „Ohne Zweifel wird der Tag kommen, an dem Palästina seinen rechtmäßigen Platz in der Gemeinschaft der freien Nationen einnehmen wird. Besatzung und Kolonialismus sowie Tod und Zerstörung sind nicht unser Schicksal. Sie werden uns aufgezwungen. Aber Freiheit ist unser einziges Schicksal“. Der stellvertretende deutsche Botschafter Thomas Zahneisen betonte Deutschlands Engagement für einen palästinensischen Staat. Dieser könne aber nur im Rahmen einer Zweistaatenlösung nach direkten Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern entstehen.
Die nun angenommene Vorlage mit dem Namen „Resolutionsentwurf zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Vereinten Nationen“ und das klare propalästinensische Votum setzten die USA inmitten wachsender Kritik an Israels Kriegsführung im Gazastreifen nun weiter unter Druck. Die US-Regierung bekräftigte ihre Haltung, dass eine Einigung mit Israel auf eine Zweistaatenlösung Voraussetzung für die Anerkennung einer UN-Vollmitgliedschaft Palästinas wäre. Anträge auf eine Mitgliedschaft scheiterten deshalb Mitte April und bereits im Jahr 2011 im Weltsicherheitsrat. In der UN-Charta ist festgelegt, dass die Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates auf „Empfehlung des Sicherheitsrats durch Beschluss der Generalversammlung“ erfolgt.
In der UN-Vollversammlung ist es den Palästinensern künftig erlaubt, sich ähnlich wie normale Mitglieder zu verhalten: Vertreterinnen und Vertreter Palästinas dürfen auch zu Themen sprechen, die nicht mit dem Nahostkonflikt zu tun haben. Zudem können sie Änderungsanträge für Beschlüsse einreichen oder neue Tagesordnungspunkte vorschlagen und Funktionen innerhalb des Plenums ausführen. Andere Gremien der Vereinten Nationen werden im Entwurf aufgefordert, Palästina ähnliche Rechte zu gewähren. Es wird aber auch betont, dass die Palästinenser kein Stimmrecht haben und nicht für UN-Organe kandidieren dürften.
Die Abstimmung in der Vollversammlung hatte unter den einflussreichsten Ländern USA, China und Russland auch deshalb für Unruhe gesorgt, weil diese einen Kontrollverlust bei der Aufwertung von Regionen fürchten, deren Staatlichkeit umstritten ist. In diesem Zusammenhang fielen Namen wie der Kosovo, Taiwan oder Berg-Karabach. In dem Text des angenommenen Resolutionsentwurfs wird deshalb betont, dass es sich im Fall Palästinas um eine Ausnahme handelt, „ohne einen Präzedenzfall zu schaffen“.
Die US-Regierung hat zudem Sorge, dass der Kongress in Washington auf die Entscheidung der Vollversammlung negativ reagiert: US-Gesetze verbieten es der amerikanischen Regierung, UN-Organisationen zu finanzieren, wenn diese einer Gruppe Vollmitgliedschaft gewähren, «die nicht über die international anerkannten Merkmale der Staatlichkeit» verfügen. Dies ist mit dem Beschluss vom Freitag Juristen zufolge zwar nicht gegeben, dennoch könnte bei einigen Abgeordneten in Washington die Forderung nach einem Finanzierungsstopp der Vereinten Nationen aufkommen.
Von 193 UN-Mitgliedsstaaten haben bisher mehr als 130 Palästina als unabhängiges Land anerkannt. Deutschland gehört wie die USA nicht dazu. Im Jahr 2012 wurde Palästina – ähnlich wie der Vatikan – zu einem nicht-mitgliedschaftlichen Beobachterstaat bei den Vereinten Nationen aufgewertet, damals mit 138 Ja-Stimmen.
Innerhalb des UN-Systems gilt Palästina damit als „Staat“, aus Sicht Deutschlands dagegen existiert das Land Palästina so nicht – das Auswärtige Amt spricht in Bezug auf Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem von „palästinensischen Gebieten“. Aufgrund der eingeschränkten internationalen Anerkennung bezweifeln zumindest einige Länder, dass die Palästinenser in internationalen Organisationen auf gleiche Weise mitwirken können wie Mitglieder, deren Staatlichkeit nicht infrage steht. (dpa, iQ)