Der Nahostkrieg sorgt gerade für viel Aufsehen. Die spirituelle Verbindung zwischen Muslimen und Palästina reicht bis zu den frühesten Offenbarungen und verdeutlicht, welchen Stellenwert al-Quds im Islam einnimmt. Ein Gastbeitrag.
Unter allen Städten der Welt dürfte al-Quds (Jerusalem) in Palästina eine der Städte sein, die im Laufe der Geschichte von vielen Völkern beansprucht wurde. Es besteht kein Zweifel, dass sie stets im Fokus der Aufmerksamkeit stand.
Der tiefe Einfluss Al-Quds auf die Menschheit lässt sich nicht von dem religiösen Charakter der Stadt trennen. Die drei großen Religionen, das Judentum, das Christentum und der Islam, betrachten Al-Quds als heilige Stadt. Diese Heiligkeit ist in den religiösen Texten tief verwurzelt. Dennoch tauchen gelegentlich Behauptungen auf, die versuchen, den Islam von Al-Quds zu distanzieren und zu behaupten, Al-Quds habe im Islam keine Heiligkeit.
Einige Autoren, vorwiegend aus dem Westen, behaupten, dass die Heiligkeit Al-Qudss im Islam erst während der Umayyaden-Periode, etwa 60 Jahre nach dem Tod des Propheten Muhammad (s), begründet wurde. Einige dieser Autoren führen die Heiligkeit von Al-Quds im Islam auf politische Gründe zurück, namentlich auf den Krieg zwischen dem Umayyaden-Kalifen Abd al-Malik Ibn Marwan und seinem Rivalen Abdullah Ibn al-Zubayr. Andere behaupten, der Islam habe einfach das Judentum nachgeahmt.
Diese Behauptungen vernachlässigen jedoch Hunderte von islamischen, religiösen und historischen Texten, die den Status von Al-Quds im Islam seit der Zeit des Propheten Muhammad (s) selbst festigen. Viele Koranverse, die dem Propheten Muhammad (s) offenbart wurden, erwähnen oder beziehen sich auf Al-Quds.
Die meisten Koranverse, in denen von der Heiligkeit und der Bedeutung von Al-Quds im Islam die Rede ist, wurden in der Tat in Mekka offenbart, d.h. Jahre vor der Auswanderung nach Medina. Der Koran bezieht sich in vielerlei Hinsicht auf Al-Quds und seine Umgebung, wie in den Versen „Beim Feigenbaum und beim Ölbaum, beim Berg Sinai und bei dieser Stadt der Sicherheit.“ (Sure 95:1-3). Diese Sure ist eine der frühen Offenbarungen des Koran.
Für Ibn Kathir gab es drei Orte, an die Allah einen der großen Gesandten schickte. Der erste Ort ist der des Feigen- und Olivenbaums, d. h. Bayt al-Maqdis (Al-Quds), wohin Gott Jesus, den Sohn Marias, gesandt hat. Ein weiterer Ort ist der Berg Sinai, wo Gott zu Moses, dem Sohn des Omran, sprach. Der dritte Ort ist Mekka. Sie ist die Stadt der Sicherheit, in der jeder, der sie betritt, sicher ist, und es ist der Ort, zu dem Gott Muhammad (s) gesandt hat.
Auch der erste Vers der Sure al-Isrâ ist einer der wichtigsten Verweise auf Al-Quds und die al-Aqsa-Moschee im Koran. Der Vers kommentiert die nächtliche Reise des Propheten Muhammad (s) mit den Worten: „Gepriesen sei der, der seinen Diener des Nachts von der unverletzlichen Moschee zur fernsten Moschee führte, deren Umgebung wir gesegnet haben, um ihm einige von unseren Zeichen zu zeigen. Wahrlich, er ist der Hörende, der Schauende.“ (Sure Isrâ, 17:1).
In diesem Vers wird insbesondere der Segen des Landes um die al-Aqsa-Moschee auf ihre Anwesenheit zurückgeführt. Es ist daher nicht abwegig, das Land um Al-Quds „Das Land, das wir gesegnet haben“ zu nennen und nicht „Das gesegnete Land“, wie es viermal im Koran erwähnt wird (Sure Âraf, 7:137, Sure Anbiyâ, 21:71, Sure Anbiyâ, 21:81, Sure Saba, 34:18). Das Land ist nicht an sich gesegnet, es ist gesegnet aufgrund der Präsenz der al-Aqsa-Moschee in Al-Quds, wobei der Segen von der Moschee ausgeht und das Land, das sie umgibt, umfasst.
In den Hadithen wird Al-Quds über 900 Mal erwähnt oder angesprochen. Eines der vielen Beispiele, die zeigen, wie der Prophet Muhammad (s) Al-Quds betrachtete und seine Gefährten aufforderte, es zu respektieren, ist der Hadith des Prophetengefährten Dhu al-Asabi‘, der von Ahmad Ibn Hanbal mit den Worten zitiert wird: Ich fragte: „O Gesandter Gottes, wenn wir auf die Probe gestellt würden, indem wir nach deinem Tod am Leben blieben, wohin würdest du uns befehlen zu gehen?“ Der Prophet sagte: „Geht zur Bayt al-Maqdis, damit ihr Nachkommen zeugt, die Tag und Nacht in diese Moschee gehen.“
Das Al-Quds-Bewusstsein ist tief verwurzelt in dem sehr tiefgreifenden Konzept der Anbetung im Islam. Im Gegensatz zu vielen anderen Religionen gründet der Islam den Status einer heiligen Stätte nicht auf eine bestimmte Geschichte oder die Anwesenheit einer Person. Im Islam dreht sich die Heiligkeit einer bestimmten Stätte vielmehr um das Konzept der Anbetung, das den Kern des Islams als Lebensweise darstellt. Im Islam wird der Gottesdienst als ein Lebenskonzept betrachtet, nicht als spezielles Ritual, und daher kann ein Muslim nicht zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten von den islamischen Werten getrennt werden. Ein Muslim praktiziert den Islam den ganzen Tag und die ganze Nacht über in allen Aspekten des Lebens. Dieses einzigartige Verständnis des Konzepts der „Anbetung“ im Islam kann sich im Bewusstsein einer heiligen Stätte widerspiegeln.
Da der Islam eine Lebensweise ist, dreht sich sein Verständnis von Heiligkeit um das Leben, d. h. um die Beziehungen. Hier kommen die drei heiligen Stätten ins Spiel. Die Beziehungen im Leben eines Muslims werden in drei Hauptkategorien unterteilt: die Beziehung zwischen dem Muslim und Allah, die persönliche Beziehung zwischen dem Muslim und dem Propheten Muhammad (s) und schließlich die Beziehung zwischen dem Muslim und der Menschheit. Die drei heiligen Stätten des Islams spiegeln diese Beziehungen wider: Mekka steht für das einzige Heiligtum Gottes, wo der Gläubige seinem Herrn ohne Grenzen begegnet. Medina steht für die Beziehung zwischen dem Muslim und dem Propheten Muhammad (s), der die Umma angeführt und die letzte Botschaft Gottes an die Menschheit überbracht hat. Al-Quds hingegen steht in dieser Gleichung für die Menschheit.
Demzufolge gelten etwa Mekka und Medina als „Haram“, d.h. als Heiligtümer, und sind nur Muslimen vorbehalten. Doch Al-Quds ist es nicht. Im islamischen Denken repräsentiert Al-Quds die Menschheit und muss daher mit einer integrativen Vision regiert werden, die seinen universellen Status gemäß des Islams widerspiegelt. Diese Tatsache spiegelt sich in der gesamten muslimischen Geschichte wider.
Da Al-Quds für die Menschheit und die inneren menschlichen Beziehungen steht, ist es nicht verwunderlich, dass Al-Quds das Land der nächtlichen Reise des Propheten Muhammad (s) war. Das Gebet in der Al-Aqsa-Moschee als Imam aller Propheten von Adam (a) bis Isa (a) bestätigt diese Bedeutung von Al-Quds. Dieses Gebet bedeutet, dass er das Erbe der anderen Propheten und die Führung der Menschheit übernimmt. Die Führung verschiedener Propheten unterschiedlicher Herkunft und Heimatländer, insbesondere in Al-Quds, symbolisiert den internationalen Charakter Al-Quds. Der Prophet Muhammad (s) führte die Propheten beim Gebet nicht in Mekka an, obwohl es das Zentrum des muslimischen Glaubens symbolisiert, sondern in Al-Quds, eben weil es das Zentrum der Menschheit symbolisiert.
Da die Al-Aqsa-Moschee und Al-Quds schon früh im Leben des Propheten Muhammad (s) erwähnt wurden, war es verständlich, Al-Quds als erste Gebetsrichtung zu wählen. Die Araber vor dem Islam bewunderten und respektierten die Kaaba in Mekka. Doch keiner von ihnen hatte eine Verbindung zu Al-Quds oder der Al-Aqsa-Moschee, die zu dieser Zeit unter byzantinischer Herrschaft stand. Daher begann durch den Islam eine einzigartige Beziehung zwischen den Muslimen und Al-Quds. Den Muslimen wurde von Allah aufgetragen in Richtung Al-Quds zu beten.
Dieser Aspekt wird von vielen westlichen Autoren übersehen oder ignoriert, da sie sich nicht bewusst sind, wie eng die Verbindung zwischen den Muslimen und Al-Quds durch das Gebet war.
Es muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass das Gebet im Islam bereits in einem sehr frühen Stadium des Prophetentums Muhammads (s) begann. Eine der frühesten offenbarten Suren des Korans ist Muzzammil, dessen erste beiden Verse lauten: „O ihr, die ihr in euren Mantel gehüllt seid! Bleibt die ganze Nacht wach, bis auf einen kleinen Teil davon.“ (Sure Muzzammil, 73:1-2). Das bedeutet, dass das Gebet schon in einem sehr frühen Stadium des Islams verrichtet wurde und die Gebetsrichtung Al-Quds war.
Ein Hadith, der von Ahmad Ibn Hanbal überliefert wurde, erklärt diese sehr frühe Bindung, indem er Ibn Abbas zitiert: „Der Prophet Muhammad (s) pflegte in Richtung Bayt Al-Maqdis zu beten, während er in Mekka war, wobei er die Kaaba vor sich hatte. Er betete nach seiner Auswanderung sechzehn Monate lang weiter so [in Richtung Al-Quds], dann wurde er [durch eine Anordnung Allahs] zur Kaaba gewandt.
Dieser Hadith zeigt, dass der Prophet Muhammad (s) insgesamt mehr zur Al-Aqsa-Moschee als nach Mekka gebetet hat. In der Tat haben die meisten Exegeten und Historiker dem Gebet nach Al-Quds keine Bedeutung und keinen Stellenwert beigemessen. Das Gebet in Richtung Al-Quds war in der Tat einer der wichtigsten Aspekte, die die spirituelle Verbindung zwischen den Muslimen und dieser Region herstellte. Diese Verbindung war für die Muslime in Mekka aufgrund der großen Entfernung zwischen ihnen und Al-Quds essenziell. Es ist mehr als offensichtliuch, dass mehr als 14 Jahre lang in Richtung Al-Quds zu beten, wirklich ein zentraler Aspekt war, der den Propheten Muhammad (s) und die Muslime mit dieser Region verband und heute noch verbindet.
Das Gebet in Richtung Al-Quds stellte einen täglichen Kontakt zwischen dem Propheten Muhammad (s) und damit den Muslimen und Al-Quds her. Es machte diese Region zum Zentrum des täglichen Lebens der Muslime, da es die Richtung war, in der ein Muslim täglich vor Allah stehen sollte. Es liegt auf der Hand, dass die Ausrichtung der Muslime auf Al-Quds das Kernstück des Gebets zu jener Zeit war. Der Grund für die nachträgliche Verlegung der Gebetsrichtung nach Mekka änderte nicht die Bedeutung von Al-Quds. Die Kaaba war immer das Zentrum der muslimischen Beziehung zu Gott. Al-Quds war für die früheren Muslime das fehlende Element. Nachdem diese Verbindung feststand, wurde die Gebetsrichtung dorthin verlegt, wo sie nach islamischem Verständnis von Anfang an sein sollte, nämlich zur Kaaba, dem ersten Gotteshaus, das jemals auf der Erde errichtet wurde.
Es sollte klar geworden sein, dass diese Faktoren eine bedeutende Rolle für den hohen Status von Al-Quds im Islam spielen. Es ist inakzeptabel, zu behaupten, Al-Quds sei „weniger heilig“ als Mekka oder Medina. Heiligkeit ist ein gleichwertiger Wert, der nicht mit praktischen Faktoren wie der Vervielfachung des Gebetserfolges oder mit Pilgerritualen und Formalitäten in Verbindung gebracht werden kann. Es handelt sich um ein spirituelles Konzept, das der Islam sorgfältig in den Köpfen und Seelen der Muslime verankert hat. Daher ist es die Norm, dass Al-Quds das Herz der muslimischen Liebe, des Respekts und der Bewunderung ist.