Islamfeindlichkeit in den Medien ist keine neue Erscheinung. Darauf macht Dr. Sabine Schiffer in ihrem Gastbeitrag aufmerksam. Aus ihrer Sicht wird mit alten Feindbildern moderne Propaganda betrieben. Dabei werden vor allem Stereotype über Muslime bedient.
Man glaubt es kaum: Im Jahre 2014 wiederholen sich dieselben Diffamierungen gegenüber Islam und Muslimen wie in den 1990er Jahren und den 2000er Jahren mit dem sarrazinesken Höhepunkt 2009. Immerhin sorgte die anti-muslimische Polemik von Nicolaus Fest in der Bild am Sonntag vom 27. Juli 2014 „Islam als Integrationshindernis“ für Empörung. Soweit waren wir in den 1990er Jahren noch nicht. Ausgerechnet einem Thilo Sarrazin (und dem Minarettverbot in der Schweiz) haben wir die Debatte um Islamophobie zu verdanken – bis zu seinen rassistischen Ausfällen galt antimuslimische Polemik in den Medien noch als guter Ton und auch der islamfeindlich motivierte Mord an Marwa El-Sherbini in Dresden vermochte daran nichts zu ändern.
Wie das Magazin Cicero mit seinem Titel vom August 2014 zeigt, ist die Gefahr, dass sich anti-muslimischer Rassismus als Mainstream verfestigt, virulent. Dort wird der offensichtlich ernst gemeinten Frage nachgegangen: „Ist der Islam böse?“ Man stelle sich als Gegenprobe folgende Fragen vor – anlässlich israelischer Politik in den palästinensischen Gebieten: „Ist das Judentum böse?“ oder anlässlich expansionistischer NATO-Politik, die mit „Ressourcensicherung“ begründet wird: „Ist der Kapitalismus böse?“
Alte Feindbilder, moderne Propaganda
Neu ist nichts an den aktuellen Debatten, aber sie spitzen sich zu. Was im Mediendiskurs seit der iranischen Revolution 1979 eher hinter vorgehaltener Hand oder durch subtile Text- und Bildmontagen denn explizit suggeriert wurde, kann seit dem Verbrechen vom 11. September 2001 offen gegen Islam und Muslime ins Feld geführt werden. Diese Tat gilt – trotz fehlender Beweise – als eine Art „islamisches Komplott“.
Unsere Medien waren stets federführend in der anti-muslimischen Agitation. Während jedoch das Medienbild in den 1990er Jahren bezüglich angeblich oder tatsächlich Islamischem einhellig war – bis auf sehr wenige Ausnahmen mit Stellungnahmen von Wissenschaftlern wie Reinhard Schulze oder Irmgard Pinn – gibt es heute auch eine Strömung in einigen linken Medien, die sich dezidiert gegen Islamfeindlichkeit stellt. Das mag erstaunen, weil man gerade in linken Kreisen weniger Sympathie für religiöse Fragen erwarten könnte. In der Tat hat jedoch die sog. Islamophobie nichts mit Religion zu tun, sondern ist eine Form von ausgrenzendem Rassismus, ein Kulturrassismus, eine ethnisierende Religionisierung verschiedenster Themen als Zuweisung zu einer Gruppe.
Stereotype wird reproduziert
Dies haben nicht alle erkannt und so vermischen immer noch viele Religionsfragen mit der Aufklärung über das Zustandekommen von Ressentiments und Verschwörungstheorien, wofür der Antisemitismus ja ein eindrückliches und leider auch nachhaltiges Beispiel ist. Nicht die inkriminierte Gruppe wäre bei der Bekämpfung von Ressentiments in Betracht zu ziehen, sondern die Ressentimentträger, die Konstrukteure einer Weltsicht, die sich oft aus einzelnen Medienbildern zusammensetzt ohne zu reflektieren, wo diese Bilder herkommen, wer beschlossen hat, diese zu veröffentlichen und nicht andere, welche Auswirkungen die Montage verschiedener Bilder auf die verschränkte Wahrnehmung hat und welche Bedeutung man schließlich gänzlich anderen Bildern aufgrund des „Vorgewussten“ zuweist. Im Teufelskreis der medialen Auswahlprozesse sind nicht zuletzt Medienmachende gefangen, die aufgrund ihrer Arbeitsweise – sich aus Agenturpools und Medienarchiven zu bedienen – viel wahrscheinlicher Stereotype reproduzieren, als diese entlarven zu können.
Medienbild und Realität klaffen dabei oftmals eklatant auseinander, auch wenn die Schilderungen zumeist auf einer kleinen Auswahl von Fakten beruhen. Das Medienbild ersetzt aber häufig die Realität. Etwa die Vorstellung, dass Muslime sich nicht zum Terror äußern würden, liegt mehr an der Veröffentlichungspraxis unserer Medien als an den Pressemitteilungen und Stellungnahmen von muslimischen Organisationen, die eben nicht veröffentlicht werden. Auch die Rezeption des sog. Karikaturenstreits wird heute weitestgehend als Beweis für die leichte Erregbarkeit von Muslimen interpretiert und nicht als gezielte Agitation bestimmter Akteure in Dänemark, die erst ein halbes Jahr nach den ersten Abdrucken der Zeichnungen – auch in ägyptischen Zeitungen – zu dem geführt hat, was weltweit als „Muslim Rage“ wahrgenommen wurde. Mit dem gleichnamigen Titel hatte Bernard Lewis bereits 1990 einen Aufsatz veröffentlicht, der als Startschuss und Offenbarung der Inauguration des Islams als neues Feindbild gewertet werden kann und ins Buch Samuel Huntingtons einfloss.
Wenn man Titel wie einen Focus von 1995 „Zittern vor Allahs Kriegern“ (6.02.1995) oder die Bücher und Sendungen von Peter Scholl-Latour aus den 1990er Jahren heranzieht, sieht man, dass sich das Islambild vor und nach 911 qualitativ nicht unterscheidet. Muslime galten und gelten als rückwärtsgewandt, gewalttätig und frauenfeindlich. In den letzten 10 Jahren nahm jedoch die Quantität der „Islam“-Thematisierung zu, wobei es sich oft gar nicht um Islamfragen handelt, sondern um Zuweisungen von Untaten, die Muslimen als Charaktereigenschaften unterstellt werden – obwohl weder Gewaltfragen, Terrorismus, Sexismus und auch Antisemitismus als weltweite Phänomen keine Islamspezifik ausweisen.
Wie aus Ausländern Muslime wurden
Verschoben hat sich jedoch die wahrgenommene Gruppe. Während „der Islam“ in den 1990er Jahren vor allem eine außenpolitische Kategorie war, wurde er mit der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh durch einen marokkanisch-stämmigen Niederländer im Jahre 2004 und die anschließende Berichterstattung darüber als inländisches „Problem“ wahrgenommen. Immer mehr gerieten unsere Muslime in Europa und in Deutschland in den Fokus der Betrachtung, ja, man kann sagen, dass die „Ausländer“ und vor allem die „Türken“ von früher inzwischen zu „Muslimen“ mutiert sind – in der Wahrnehmung. Denn in den 1980er Jahren waren sie ja auch schon Muslime, wie heute. Sie wurden aber in dieser Kategorie kaum verhandelt.
Bei allen Verschiebungen in der Betonung bestimmter Aspekte, bildet sich als Konstante der Wahrnehmung eines heraus: Ablehnung. Und die sog. Islamkonferenz mit ihren medial wirksamen Begleiterscheinungen – wie beispielsweise die Absetzung der Idomeneo-Oper in Berlin zum Sitzungsauftakt 2006 – hat diesbezüglich auch ihren Beitrag geleistet: einen negativen PR-Effekt. In menschenfeindlichen Blogs wird inzwischen über Islam und Muslime zugespitzt formuliert, was in den gängigen Medien schon immer stand, und bezüglich der Islamkonferenz heißt es da sinngemäß: „Warum brauchen die Muslime eine solche Konferenz? Buddhisten und andere haben auch keine. Immer eine Extrawurst für die Muslime, die immer mehr fordern.“ Dass die Konferenz keine Erfindung der Muslime war, wird nicht reflektiert – und statt Reflexion darüber finden auch in den Mainstream-Medien vor allem Zuweisungen von Fehlentwicklungen in der nicht auf Effektivität ausgerichteten Konferenz zur markierten Gruppe der Muslime statt.
Der Nahostkonflikt als Kristallisationspunkt eingeübten Unverständnisses
Aus dem Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern um Land scheint inzwischen ein religiöser Konflikt geworden zu sein – in der Wahrnehmung vieler Mediennutzer. Die christlichen Palästinenser ignorierend wurde geradezu ein Gegensatzpaar „Jude oder Muslim“ kreiert und gefördert. Islamophobe Akteure in Weblogs befeuern diese Dichotomie zusätzlich, indem sie sich „pro-jüdisch“ oder „pro-israelisch“ geben, um nicht als Rassisten oder gar Rechtsextremisten aufzufallen. So sind es nicht selten Akteure dieser Kreise, die auf Demonstrationen gegen die Friedensbewegung beispielsweise am heftigsten mit Israelfahnen schwingen oder diese auch zu dezidiert antiislamischen Aufmärschen mitbringen – was wiederum Muslime dazu veranlassen könnte zu glauben, dass hinter der anti-islamischen Agitation Juden stecken würden.
Unsere Medien dienen der Aufklärung oft genug nicht, sondern befeuern gar noch eine Polarisierung zwischen Juden und Muslimen – wie übrigens gerade auch zwischen Ukrainern und Russen in Deutschland und Europa. Es wird suggeriert, dass Demonstranten, die sich gegen Menschen- und Völkerrechtsverletzungen in Nahost aussprechen, anti-israelisch und schließlich anti-jüdisch seien – wobei gerade wütende arabische Jugendliche in den Medienfokus geraten, die als „muslimisch“ ausgemacht werden. Ob sie repräsentativ sind für die Masse sei dahin gestellt, als Nahaufnahme von Demonstrationen sind sie als „judenfeindliche Muslime“ leicht inszenierbar. Umgekehrt greift der Mechanismus nicht. Wenn Juden gegen Muslime polemisieren, wird von Medienseite nicht nach Belegen für eine jüdische Agitation gegen Muslime gesucht, sondern die teils sehr verallgemeinernden Anschuldigungen als berechtigt übernommen. Dass diese Einseitigkeit Ressentiments verstärkt, ist absehbar.
Kein „muslimisches Phänomen“
Natürlich gibt es auch Judenhass unter Muslimen. Antijüdische Weltverschwörungstheorien sind ein weltweites Phänomen und machen auch vor Muslimen nicht halt. Das macht diese Einstellungen aber eben auch nicht zu einem „muslimischen Phänomen“. Viele unserer Medien scheinen aber diesen rechtsgerichteten Entlastungsdiskurs gerne aufzugreifen und die Projektion mitzutragen, dass Antisemitismus heute nicht ein Problem von „uns“, sondern ein Problem von „den anderen“ sei. Neben dieser Wegverweisung des Problems als Schuldabwehr kann das Anprangern von Antisemitismus im Kontext von kriegerischen Eskalationen in Israel-Palästina auch davon ablenken, dass hier das Völkerrecht verletzt wird. So befeuert das Warnen vor erstarkendem Antisemitismus (unter Muslimen) nicht nur die Islamophobie, sondern überdeckt gleichzeitig die Völkerrechtsverletzungen der israelischen Regierung. Denn völkerrechtlich ist es legitim, dass ein unterdrücktes Volk eines besetzten Gebietes nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten sogar das Recht auf gewaltsamen Widerstand hat. Man muss also – bei aller Verurteilung von Raketen jedweder Art – dem kontinuierlich (sic!) abgeriegelten Gaza-Streifen dieses Recht auf Selbstverteidigung zubilligen.
Wenn aber die PR-Abteilung der israelischen Regierung ständig verkündet, dass nicht israelische Rechtsverletzungen, sondern „das Judentum“ an sich zur Disposition stünde, und unsere Medien diese Behauptungen kritiklos übernehmen, macht man sich zum Helfershelfer einer geschickten Ablenkungsstrategie. Dass man dabei neuerdings ins Islamophobe abgleitet – wie dies Nicolaus Fest anschaulich demonstrierte – mag mag für Unbeteiligte als Kollateralschaden erscheinen, für Betroffene ist das bitter und die Gefahr, auf die Rhetorik hereinzufallen und ebenfalls rassistisch zu argumentieren ist nicht von der Hand zu weisen. Womit wir wiederum Objekte medialer Betrachtung oder Lieferanten von menschenverachtenden O-Tönen produzieren – die berühmte „Sich-selbst-erfüllende-Prophezeihung“.
Die Folgen der Dehumanisierung im Mediendiskurs
Die Entmenschlichung der Muslime ist dazu geeignet, Rechtsverletzungen ihnen gegenüber gar nicht als solche mehr zu erkennen. Und dafür braucht man in Deutschland nicht auf Israel zu verweisen. Das schaffen wir ganz alleine. Die Beobachtung einiger besonders konstruktiv agierender Muslime durch den Inlandsgeheimdienst mag seinen Beitrag zur medialen Stigmatisierung leisten, wie dies die Studie „Inszenierter Terrorismus“ von der Uni Jena herausarbeitete, das mit gestaltete Medienbild befeuert gleichzeitig wiederum das Legitimationsgefühl für den Geheimdienst, Rechtsbrüche gegenüber Muslimen in Kauf zu nehmen.
Nicht zuletzt der Kommentar von Nicolaus Fest bezeugt diesen Mechanismus. Die Journalistin Andrea Dernbach zeigt aber, dass es auch anders geht: In ihrer lesenswerten Replik auf Fests Muslimhass im Berliner Tagesspiegel vom 28. Juli 2014 arbeitet sie klug heraus, dass dessen Vorschlag von der Einschränkung des Asylrechts für Muslime nichts mehr mit juristischem Grundverständnis zu tun hat. Als Jurist muss Fest diese Entlarvung der Aushöhlung der Menschenrechte besonders treffen, als Kommentator auch, denn vergleichbares wirft er ja Muslimen vor.