Nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu wollen einige Länder entschlossen handeln, andere zögern. Deutschland steht vor einem Dilemma. Ein Überblick.
Die jüngste Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant auszustellen, sorgt international für Aufsehen und spaltet die europäische Politik. Der Haftbefehl wurde am 21. November wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen erlassen.
Während einige europäische Staaten die Umsetzung des Beschlusses zusagten, zeigten andere Zurückhaltung oder äußerten Kritik. Länder wie Irland, Belgien, Frankreich, die Niederlande, Schweden, Spanien, Portugal und Norwegen, erklärten ihre Bereitschaft, dem IStGH zu folgen und den Haftbefehl gegen Netanjahu umzusetzen. Irlands Premierminister Simon Harris bekräftigte: „Irland respektiert die Rolle des Straftgerichtshofs. Alle, die die Arbeit des Gerichts unterstützen können, sollten dies ohne Verzögerung tun.“
Auch die Niederlande nahmen eine klare Haltung ein. Außenminister Caspar Veldkamp betonte, dass sein Land verpflichtet sei, den Beschluss zu respektieren, und fügte hinzu: „Wenn Netanjahu die Niederlande besucht, wird er verhaftet.“ Der belgische Premierminister Alexander De Croo forderte ebenfalls die konsequente Umsetzung internationaler Gesetze und plädierte für weitere Maßnahmen wie wirtschaftliche Sanktionen gegen Israel.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte Länder, die den Beschluss nicht unterstützen, und rief zur Geschlossenheit innerhalb der Union auf. „Dies ist keine politische Entscheidung, sondern ein rechtlich bindender Beschluss eines internationalen Gerichts, das mit starker Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten gegründet wurde“, betonte Borrell. Er wies darauf hin, dass die Umsetzung internationaler Gesetze nicht optional sei und warnte vor Versuchen, die Justiz zu untergraben. „Manipulation und Desinformation vergiften die Köpfe. Hassalgorithmen sind leider profitabler als Friedensalgorithmen“, fügte er hinzu.
In Italien erklärte Verteidigungsminister Guido Crosetto, dass das Land die Entscheidung des IStGH zwar umsetzen müsse, sie jedoch als „falsch“ betrachte. Ähnlich äußerte sich die tschechische Regierung, die den Beschluss als „unglücklich“ bezeichnete, aber betonte, dass sie ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen werde.
Ungarn hingegen geht offen auf Konfrontationskurs mit dem IStGH. Ministerpräsident Viktor Orbán kündigte an, Netanjahu nach Budapest einzuladen, und versicherte, dass der Haftbefehl in Ungarn keine Gültigkeit habe. Außenminister Peter Szijjarto bezeichnete den Beschluss als „beschämend und absurd“. Polen und Griechenland haben bislang keine klare Stellungnahme abgegeben. Auch aus Zypern und anderen osteuropäischen Ländern kamen bisher lediglich vage Äußerungen, die darauf hindeuten, dass die Entscheidung noch geprüft werde.
Zum Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant teilte Deutschlands Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit, die daraus folgenden „innerstaatlichen Schritte“ würden gewissenhaft geprüft. Weiteres stünde erst an, wenn ein Aufenthalt von Netanjahu und Galant in Deutschland absehbar sei.
Deutschland sei einer der größte Unterstützer des Gerichtshofs. „Diese Haltung ist auch Ergebnis der deutschen Geschichte. Gleichzeitig ist Konsequenz der deutschen Geschichte, dass uns einzigartige Beziehungen und eine große Verantwortung mit Israel verbinden“, ergänzte er. Die Bundesregierung sei an der Ausarbeitung des IStGH-Statuts beteiligt gewesen. Die Entscheidung des Gerichtshofs habe sie zur Kenntnis genommen.
Vor Journalisten ergänzte Hebestreit in Berlin: „Ich könnte mich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland durchführen.“ Ihm sei über Reisepläne des israelischen Ministerpräsidenten nichts bekannt. Es gebe auch „keine akuten Anfragen aus dem Büro des Premierministers Israels, dass er nach Deutschland kommen will“. Außenministerin Annalena Baerbock sagte den Sendern RTL und ntv, Deutschland halte sich „natürlich national, europäisch und international an Recht und Gesetz“. Eine mögliche Einreise Netanjahus in die Europäische Union nannte sie eine „hypothetische Frage“. „Aber das prüfen wir jetzt genau, wie wir dann damit umgehen werden.“
Die Entscheidung des Strafgerichtshof könnte Netanjahus Bewegungsfreiheit erheblich einschränken. Insgesamt 124 Länder, darunter alle EU-Mitgliedstaaten, Kanada, Australien, Japan und zahlreiche lateinamerikanische und afrikanische Staaten, sind Vertragsparteien des Römischen Statuts und somit verpflichtet, den Haftbefehl umzusetzen. Laut Statut des Strafgerichtshofs sind diese Länder verpflichtet, Netanjahu bei einem Besuch festzunehmen und an das Gericht in Den Haag auszuliefern.
In der Vergangenheit gab es jedoch Schwierigkeiten bei der Umsetzung solcher Haftbefehle. Beispielsweise wurde der frühere sudanesische Präsident Omar al-Baschir trotz eines Haftbefehls in mehreren Ländern nicht verhaftet. Ähnliche Herausforderungen ergaben sich beim Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der aufgrund des Beschlusses Reisen nach Südafrika und andere Länder vermied.
Der Fall Netanjahu zeigt die Spannungen innerhalb der internationalen Gemeinschaft und insbesondere in Europa bei der Umsetzung internationaler Gerichtsurteile. Während einige Länder klare Unterstützung für den Strafgerichtshof zeigen, bleiben andere zurückhaltend oder stellen politische Überlegungen über rechtliche Verpflichtungen.
Netanjahus Zukunft und seine Reisemöglichkeiten bleiben vorerst ungewiss. Der Haftbefehl sendet jedoch ein starkes Signal für die Rolle des internationalen Strafrechts und die Notwendigkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit konsequent zu verfolgen. (dpa, iQ)