Auch dreizehn Jahre nach den Terroranschlägen weiß noch fast jeder Bundesbürger, wo er am 11. September 2001 war. Soziologen der Universität Duisburg-Essen haben nun herausgefunden, dass das Ereignis das Lebensgefühl einer ganzen Generation mitgeprägt hat.
Der 11. September 2001 hat die Welt verändert. Soziologen der Universität Duisburg-Essen befassen sich seit zwei Jahren mit der Frage, ob das weltpolitische Ereignis nicht nur die Politik, sondern auch den Alltag des Einzelnen verändert hat. Gemeinsam mit Carsten Ullrich hat Daniela Schiek die Studie gestartet, in der die „Generation 9/11“ ihr Lebensgefühl in Worte fasst. Im Interview erklärt die Soziologin, welche Spuren die Erfahrung kollektiver Gewalt hinterlässt.
Frau Schiek, woher stammt die Idee, dass es eine „Generation 9/11“ geben könnte?
Daniela Schiek: Wir haben festgestellt, dass junge Menschen auf bestimmte Themen reizbar reagieren. Die Altersgruppe, die im Jahr 2001 in der Ausbildung oder am Beginn des Berufslebens stand, hat viele Folgen des 11. Septembers unmittelbar erlebt: die Rasterfahndung, Diskussionen über militärische Einsätze, Menschen mit Migrationshintergrund wurden plötzlich anders beäugt. Zugleich schien die Forschung davon auszugehen, dass solche Ereignisse sich nicht in den Lebenserinnerungen junger Menschen festsetzen. Dabei ist es aus soziologischer Perspektive plausibel, dass es nicht spurlos an Menschen vorbeigeht, wenn sie zum ersten Mal kollektive Gewalt erleben.
Sie haben vor zwei Jahren mit einer Pilotstudie im Internet begonnen. Was haben Sie herausgefunden?
Daniela Schiek: Wir haben zunächst offen gefragt, wie der 11. September in Deutschland erlebt wurde. Dabei hat sich gezeigt, dass es ein Bedürfnis gibt, diese Erfahrung gemeinsam zu verarbeiten. Zudem haben wir festgestellt, dass Individuen sich in einen persönlichen Bezug zu diesem weltpolitischen Ereignis setzen. Das kann sich etwa in Panikattacken und diffusen Ängsten äußern. Auch spielt das Verhältnis zu den USA eine Rolle; es gibt Beispiele von Menschen, die vorher in New York waren und nach dem 11. September bewusst an den Ground Zero gereist sind wie an einen Friedhof. Andere haben New York eher als düster erlebt und sagen, dass sie eine gewisse dunkle Vorahnung hatten.
Woher weiß man, dass etwa Angststörungen durch die Terroranschläge ausgelöst wurden?
Daniela Schiek: Die Teilnehmer sind in ihren Beiträgen hochreflektiert. Dabei gestehen sie zu, dass andere Faktoren eine Rolle spielen könnten, sind sich aber sicher, dass es eben auch am 11. September liegt. Wie wir aus anderen Studien wissen, scheinen gerade Jüngere aber interessanterweise keine Angst zu haben, dass sie von Terroristen angegriffen werden könnten. Das deutet darauf hin, dass diese Ängste komplex zusammengesetzt sind.
Warum untersuchen Sie gerade die Geburtsjahrgänge 1971 bis 1981?
Daniela Schiek: Wir gehen davon aus, dass man bei dieser Altersgruppe einen echten Wandel beobachten kann. Wir möchten wissen, ob sich die persönliche Einschätzung der Weltpolitik, das Sicherheitsgefühl oder der Blick auf Migranten verändert hat. Das geht nur, wenn die Studien-Teilnehmer zum Zeitpunkt der Ereignisse schon alt genug waren, um eine Art politisches Bewusstsein zu haben. Wer noch älter ist, kannte durch den Kalten Krieg bereits das Gefühl kollektiver Bedrohung, während die von uns untersuchte Altersgruppe das am 11. September zum ersten Mal erfahren hat.
Gibt es in den USA eine andere Wahrnehmung als in Deutschland?
Daniela Schiek: In den USA werden die Jüngeren als „Generation 9/11“ bezeichnet. Ich halte das für falsch, weil diese Altersgruppe selbst sagt, nach dem 11. September habe sich ihr politisches Bewusstsein überhaupt erst ausgebildet. Sie waren persönlich betroffen, aber sie identifizieren sich mit späteren historischen Ereignissen.
Wie in Deutschland hat das Gefühl der Betroffenheit auch in den USA nichts damit zu tun, ob jemand persönlich vor Ort war. Vielmehr unterscheiden sich die Erfahrungen nach der gesellschaftlichen Schicht. Ich habe sowohl die politische Elite und Mitglieder der Allgemeinbevölkerung befragt als auch Mitglieder der schwarzen Minderheit in Washington. Letztere erinnern sich an den Tag, weinen auch bei der Erinnerung, sagen aber genauso deutlich, dass sich für sie persönlich nichts verändert hat. Etwa die Sicherheitshysterie betreffe sie nicht; in ihren Bezirken sei nichts sicherer geworden.
Stellen Sie auch unterschiedliche Wahrnehmungen bei den Angehörigen verschiedener Religionen fest?
Daniela Schiek: Sowohl Deutschland als auch die USA befassen sich seit dem 11. September verstärkt mit dem Thema Integration – gerade die Generation, die wir untersuchen. Die Befragten in den USA nehmen den 11. September stärker als religiösen Konflikt wahr. Daher gibt es dort seitdem beispielsweise mehr Studierende der Islam- und Kulturwissenschaften, die verstehen möchten, was 2001 passiert ist.
Das Gespräch führte Paula Konersmann (KNA)