









Union und SPD haben im Koalitionsvertrag breite Maßnahmen gegen den „Islamismus“ angekündigt. Fragen zum muslimischen Leben in Deutschland kommen praktisch nicht vor. Muslime vermissen positive Signale.
Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland haben sich enttäuscht über den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD gezeigt. Der am Mittwoch vorgestellte Entwurf thematisiert das muslimische Leben in Deutschland kaum – stattdessen steht der Islam nahezu ausschließlich im Kontext von „Islamismus“ und Prävention.
Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), gratulierte zwar der neuen Bundesregierung und wünschte ihr „Kraft und Weitblick“ für die bevorstehenden Aufgaben. Doch zugleich äußerte er deutliche Kritik: „Bei aller Hoffnung auf Aufbruch irritiert ein zentraler blinder Fleck: Im Koalitionsvertrag bleibt muslimisches Leben unerwähnt.“ Stattdessen sei „ausführlich von ‚Islamismus-Prävention‘“ die Rede – als handle es sich dabei um den einzigen Berührungspunkt des Staates mit dem Islam. Das sei nicht nur einseitig, sondern gefährlich, so Mete: „Diese Auslassung ist nicht banal. Sie wirkt ausgrenzend, untergräbt Vertrauen und widerspricht dem Anspruch auf Teilhabe.“
Auch der Vorsitzende des Islamrats, Burhan Kesici, zeigte sich enttäuscht: „Muslime finden im Koalitionsvertrag kaum Berücksichtigung“, sagte er. Es wäre notwendig gewesen, dass die Regierung die zunehmende Islamfeindlichkeit sowie die gesellschaftliche Teilhabe von Muslimen stärker thematisiere. Stattdessen werde der Islam vor allem im Zusammenhang mit Islamismus und Prävention genannt – „ein beunruhigendes Signal, das Ängste eher schürt als abbaut“.
Der Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union e.V. (DITIB), Eyüp Kalyon, sprach gegenüber IslamiQ von einer „verzerrten Betrachtung“, die der Lebensrealität der Mehrheit der Muslime in Deutschland nicht gerecht werde. Rund 90 Prozent der Muslime sähen sich als Teil dieses Landes und leisteten einen Beitrag zur Gesellschaft. „Dies ignoriert die Koalition. Das ist keine positive Botschaft an die sechs Millionen Muslime in Deutschland und führt dazu, dass sich viele von ihnen in diesem Land nicht vertreten fühlen.“ Dies könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden, warnte Kalyon, und forderte: „Die Koalition hat in der Praxis die Pflicht, diese verzerrte Betrachtung zu korrigieren und Muslimen zu zeigen, dass sie keine Bürger zweiter Klasse sind.“
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) bemängelte zum Koalitionsvertrag „das vollständige Fehlen einer expliziten Benennung von antimuslimischem Rassismus – obwohl muslimfeindliche Einstellungen und Übergriffe seit Jahren dokumentiert sind“. Der von den Koalitionären angekündigte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus bleibe in dieser Hinsicht vage und unvollständig, hieß es in einer Erklärung des ZMD.
Besonders schwer wiege, dass muslimisches Leben im gesamten Koalitionsvertrag weder benannt noch in irgendeiner Weise wertschätzend anerkannt werde. „Zwar wird die Rolle der Kirchen anerkannt, doch islamische Religionsgemeinschaften bleiben völlig unsichtbar“, so die Erklärung. Fragen von Religionsunterricht, Seelsorge oder Wohlfahrtsarbeit blieben unerwähnt. (KNA, iQ)