Hayy ibn Yaqdhan wächst mit Tieren auf einer Insel auf. Seine Einsamkeit und sein Verstand bringen ihn zu philosophischen Erkenntnissen. Ibni Tufails gleichnamiger Roman ist eines der wichtigsten Werke der islamischen Philosophie.
Hayy ibn Yaqdhan („Der Lebendige, Sohn des Wachenden) verbringt sein gesamtes Leben auf einer einsamen Insel und kommt durch Erfahrungen und Schlussfolgerungen zu philosophischen Erkenntnissen. Gefunden von einer Gazelle und von ihr aufgezogen erkennt Hayy, dass er anders als die Lebewesen ist, die ihn umgeben. Anfangs von seiner Unterlegenheit gegenüber der Tierwelt überzeugt, findet er langsam heraus, dass sein Verstand ihn auszeichnet.
Im Laufe seiner Denkprozesse, die zunächst damit beginnen, dass er Kleidung näht, Nahrung besorgt und Werkzeuge für sich herstellt, kommt er zu dem Entschluss, dass es eine Kraft geben muss, die über allem existiert. Der Roman beschreibt die stufenweise Erkenntnis des Protagonisten und die spätere Konfrontation mit den Bewohnern einer Nachbarinsel.
Abu Bakr Ibn Tufail, ein arabisch-andalusischer Universalgelehrte, schrieb den Roman im 12. Jahrhundert. Nach seinem Studium der Mathematik, Medizin und Astronomie ließ sich Ibn Tufail als Arzt in Granada nieder und wurde später durch den Almohadenherrscher Abu Yaqub Yusuf I. nach Marrakesch berufen und zum Wesir ernannt.
Hayy ibn Yaqdhan ist Ibn Tufails einziges Werk, das erhalten ist. Es gehört zu den wichtigsten Werken der arabischen Philosophie und wird auch als Bildungs- und Entwicklungsroman bezeichnet. Ibn Tufails Text, der Daniel Defoe zu seinem „Robinson Crusoe“ inspirierte, vermittelt neben religiösen Einsichten auch einen Eindruck von der Spannbreite der Wissenschaft im Andalusien des 12. Jahrhunderts, insbesondere der Medizin und Astronomie. Von einfachen Elementen ausgehend, entwickelt er auch Einsichten in komplexere Probleme bis zur Einheit der Natur.
Der Roman wurde insbesondere in der Aufklärung rezipiert und erschien 1671 in England in einer arabischen Ausgabe mit lateinischer Übersetzung unter dem Titel „philosophus autodidacticus“. Gottfried Wilhelm Leibniz, Moses Mendelssohn, Gotthold Ephraim Lessing und andere bezogen sich in ihren Arbeiten auf den Text.
Die kommentierte Ausgabe, die bei Edition Viktoria 2007 erschienen ist, beinhaltet Kalligrafien von Koranstellen, auf die sich Ibn Tufail bezieht. Außerdem ist der Text mit mit Erläuterungen zu den Anfängen der islamischen Philosophie und Theologie ausgestattet, die als kleines Wörterbuch dienen und die Lektüre erleichtern. (fc)