Werden Soziale Netzwerke in ihrer Wirkung überschätzt? Ja, sagt die Hildesheimer Politikwissenschaftlerin Marianne Kneuer. Sie sieht einen Nutzen in der Möglichkeit der Vernetzung, es fehlt aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen durch die Nutzer.
Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook werden nach Ansicht der Hildesheimer Politikwissenschaftlerin Marianne Kneuer in ihrer Wirkung überschätzt. Das Internet habe laut den Ergebnissen des von ihr betreuten Forschungsprojekts „Globale Krisen, nationale Proteste“ weniger als gedacht zu grenzüberschreitenden Diskussionen beigetragen, schreibt Kneuer in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (Mittwoch).
„Dass sich jeder mit jedem verbinden kann, erzeugt noch keinen globalen elektronischen Marktplatz“, so Kneuer. „Und dass man nun interaktiv und in Echtzeit kommunizieren kann, bedeutet noch lange nicht, dass die Zahl der inhaltlichen Debatten zunimmt.“ Auf Facebook überwiegt den Erkenntnissen der Hildesheimer Forscher zufolge das „liking“, eine zustimmende Kennzeichnung eines Beitrags ohne inhaltliche Auseinandersetzung. Auf Twitter sei es analog dazu das „retweeting“, die Weiterleitung der Kurznachricht über das eigene Konto.
„Legt man die Erwartung zugrunde, dass soziale Netzwerke den Raum für breite inhaltliche Debatten bieten, wird man eher ernüchtert“, lautet die Bilanz von Kneuer. Das zeige auch ein Blick auf den „Arabischen Frühling“. Zwar seien Twitter und Co in der Anfangsphase für die Koordination von Protesten rege genutzt worden. „Danach aber blieb das Demokratisierungspotenzial begrenzt.“ Wer die „Arabellion“ vom Frühjahr 2011 als Facebook- oder Twitter-Revolution bezeichne, verkenne zudem die Rolle, die internationale Fernsehsender wie Al Jazeera und France 24 gespielt hätten.
Zum Vergleich zog Kneuer die Wende von vor 25 Jahren heran. „Vom Fall der Mauer bis zum Ende des Jahres 1989 brachen fünf kommunistische Regime zusammen – kaum langsamer also als die ‚Arabellion‘, wenngleich erfolgreicher und ohne Internet.“ Auch hier habe es sich wie in Nordafrika um „grenzüberschreitende Ansteckungsprozesse“ gehandelt, die es mithin schon vor und unabhängig von der Existenz von sozialen Netzwerken gegeben habe.
Es gebe daher weder eine „amorphe globale Bewegung“ noch eine „virtuelle globale Öffentlichkeit“ als Gegenüber von Politik und Wirtschaft, schlussfolgert die Wissenschaftlerin. „Die Adressaten und Gesprächspartner der Akteure in Politik und Wirtschaft bleiben die Bürger und Aktivisten im eigenen Land. Zumindest noch.“ (KNA)