Schreiende Frauen mit Kopftüchern und langen Kleidern stehen tränenüberströmt am Grab. Das vermitteln oft TV-Bilder aus islamischen Kulturkreisen. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gudrun Zimmermann erläutert im Interview mit Samuel Dekempe (KNA) muslimische Trauerrituale.
„Der offene Umgang der Muslime mit Tod und Trauer kann für uns vorbildlich sein“, sagt die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gudrun Zimmermann. Gerade vom Familienzusammenhalt bei Muslimen während der Trauerzeit könne man vieles lernen.
Frau Zimmermann, wie trauern Menschen aus dem muslimischen Kulturkreis?
Gudrun Zimmermann: Die Trauer ist häufig expressiv. Einige Menschen schreien, klagen und raufen sich die Haare. Manche brechen zusammen, weil die Trauer sich so sehr über den Körper ausdrückt. Von den Männern wird dagegen häufig erwartet, sehr stark zu sein, so dass sie ihre Trauer nicht so sehr nach außen ausdrücken. In manchen Regionen trauern Männer in einem eigenen Raum und die Frauen in einem anderen.
Ist diese expressive Trauer nur ein Mentalitätsunterschied?
Gudrun Zimmermann: Sicher wird der Trauerausdruck von verschiedenen Dimensionen beeinflusst. Zum einen werden in vielen Kulturen Gefühle wesentlich mehr zum Ausdruck gebracht als es bei den meisten Menschen mit deutschen Wurzeln der Fall ist. Hinzu kommt auch noch die Gemeinschaft: Das gemeinsame Trauern verstärkt den Ausdruck.
Ist dieses gemeinsame Trauern auch typisch für Muslime?
Gudrun Zimmermann: Die Menschen erfahren einen ganz starken Zusammenhalt in der Familie: Da die Trauer im Lebensmittelpunkt steht, werden auch ganz praktische Alltagsdinge wie Behördengänge oder das Kochen von Verwandten übernommen.
Gibt es denn so viel zu organisieren?
Gudrun Zimmermann: Eigentlich schreibt es die Religion vor, dass der Verstorbene innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden muss. Das lässt sich in Deutschland allerdings nicht einhalten. Denn die Gesetze ordnen eine Mindestwartezeit von 72 Stunden an. Wenn dann der Verstorbene in sein Herkunftsland überführt werden soll, stehen die Angehörigen unter großem Zeitdruck. Die rituelle Waschung muss durchgeführt, ein internationaler Leichenpass ausgestellt und ein Flug gebucht werden.
Ist es so einfach, sich in seinem Herkunftsland beerdigen zu lassen?
Gudrun Zimmermann: Ja. Es gibt in ganz Deutschland Beerdigungsinstitute, die sich darauf spezialisiert haben. Viele Muslime wollen ein Grab auf ewig. In Deutschland gibt es aber nur befristete Gräber. Dann bleibt nur die Überführung. Das ist auch der Grund, warum eine große Zahl von Zuwanderern mit einer Einbürgerung hadert. Denn dann ist eine Überführung meist nicht mehr möglich.
Welche Trauerrituale sind noch typisch für Muslime?
Gudrun Zimmermann: Die Trauerrituale im muslimischen Kulturkreis unterscheiden sich von Region zu Region. In der Regel gibt es aber eine intensive Trauerzeit von drei bis fünf Tagen. Dabei erzählen sich Familie und Freunde viele Geschichten über den Verstorbenen und gedenken ihm. In dieser Zeit wird das Haus nicht verlassen – außer zum Freitagsgebet. Nach der Beerdigung beginnt eine 40-tägige Trauerzeit, die mit einem großen Essen ihren Abschluss findet. Nach einem Jahr, in dem keine wichtigen Feste wie Hochzeiten gefeiert werden sollen, endet dann die Trauerphase.
Wird das denn von den Muslimen in der Bundesrepublik überhaupt noch so praktiziert?
Gudrun Zimmermann: Einige Traditionen werden von den hier lebenden Muslimen sehr gepflegt – im Gegensatz zu den Glaubensanhängern, die in den Großstädten der Herkunftsländer leben. Dies liegt vor allem daran, dass die erste Generation der Zuwanderer in den 1960er Jahren sich nach wie vor an die Traditionen hält. In ihren Herkunftsländern hat sich die Tradition aber weiterentwickelt.
Was können wir von der muslimischen Art der Trauer lernen?
Gudrun Zimmermann: Wir sollten diese Rituale annehmen und uns nicht von ihnen abschrecken lassen. Gerade die Kliniken und Pflegeheime sollten aufgeschlossener werden und eine trauernde muslimische Familie zulassen. Sie dürfen nicht ins Abseits geschoben werden. Häufig werden sie aber aufgefordert, leise zu trauern. Der offene Umgang der Muslime mit Tod und Trauer kann für uns vorbildlich sein; für unsere Gesellschaft ist das ja ein großes Tabu. Auch vom Familienzusammenhalt in der Trauerzeit können wir noch vieles lernen. (KNA)