Wissenschaft und Medien werden immer mehr in die Arbeit des Verfassungsschutzes eingebunden. Mehr als das, behaupten Hartmut Rüber und Markus Mohr, sie werden instrumentalisiert. Was damit genau gemeint ist, beschreibt Funda Yol-Gedikli in ihrer Buchbesprechung.
Die Zahl der Wissenschaftler, die für den Verfassungsschutz arbeiten, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Hochschulen, Stiftungen und viele andere wohltätige Organisationen werden durch die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zur „Gegnerbestimmung“ eingebunden. Es gibt zahlreiche Wissenschaftler und Verfassungsschutzbeamte, die journalistisch tätig sind oder bei politischen Stiftungen auftreten. Diese besorgniserregende Entwicklung analysieren Hartmut Rüber und Markus Mohr in ihrem Buch „Gegnerbestimmung. Sozialwissenschaft im Auftrag der»inneren Sicherheit«„.
Das gemeinsam herausgegebene Buch beschreibt die schleichende Kompetenzerweiterung des Verfassungsschutzes und das Eindringen in die öffentliche Meinungsbildung durch die Verwendung von Journalisten und Wissenschatlern.
Die Autoren gehen insbesondere auf prekäre Verstrickungen zwischen politischen Stiftungen und dem Verfassungsschutz ein. Insbesondere dienten die Berichterstattungen in Verfassungsschutzberichten Unternehmen vielfach dazu, die Tariffähigkeit ihnen unangenehmer Gewerkschaften in Abrede zu stellen. Interessenverbände, wie z. B. die Polizeigewerkschaft, finden in Verfassungsschutzberichten schlagkräftige Argumente, um ihnen ablehnend gegenüberstehende Organisationen eventuell sogar als terroristische Untergrundarbeit in Verruf zu bringen.[1]
Weiter wird ausgeführt, dass in Medien, in Hochschulen, sonstigen Einrichtungen der politischen Bildung und Erziehung sich immer mehr Mitarbeiter des Verfassungsschutzes befänden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommuniziere allein Ende der 1990er Jahre mit 180 Hochschullehrern.[2]
Die Rechtfertigung für rechtspopulistische Bürgerinitiativen wie z. B. pro Köln oder pro NRW wird in den Verfassungsschutzberichten gefunden. Die Berichte werden als Anlass gesehen, um beispielsweise geplante Moscheebauten zu verhindern. Jugendherbergen verweigerten mit Hinweis auf Verfassungsschutzermittlungen die Räume für Seminare. Zwar gingen in den meisten Fällen nach anstrengenden Verfahren die Religionsgemeinschaften vielfach als Gewinner heraus, jedoch erst nach mühseligen und langandauernden Prozessen.[3]
Die Instrumentalisierung der Wissenschaft zeige sich insbesondere an der sogenannten „Extremismusforschung“, sie diene dem Verfassungsschutz für seine Arbeit. Dieser Forschungsansatz werde vom Verfassungsschutz erheblich gefördert, um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu verstärken. Die weitreichende Wirkung entfaltet das Extremismuskonzept nicht nur aufgrund der akademischen Forschung, sondern auch und vielfach durch die enge Verknüpfung mit dem Staatsapparat.
Die Arbeit bestehe hier insbesondere darin die „Sichtweisen der Sozialwissenschaft“ „selektiv“ zu verwenden. Der Begriff des „Extremismus“ ist kein Rechtsbegriff, der sich in Gesetzen wiederfinde, es handle sich vielmehr um einen sozialwissenschaftlichen Begriff. Die Verwaltungspraxis hingegen sieht darin ein Arbeitsmittel, welcher keine eindeutige Abgrenzung zulasse und daher sehr variabel sei.[4] Aufgrund dieser Variabilität und Nichtabgrenzbarkeit des Begriffs wird er vehement vom Verfassungsschutz vertreten. Die erhebliche Förderung der Extremismusforschung erfolge aus diesem Grunde.
Nach den Extremismusforschern Uwe Backes und Eckhard Jesse wird Extremismus als die „Absage an fundamentalen Werten, Verfahrensregel und Institutionen demokratischer Verfassungsstaaten verstanden“. Extremist ist daher jemand, der demzufolge die „Minimalbedingungen“ des zur Norm erhobenen demokratischen Verfassungsstaates ablehne. Die Abweichung von als „demokratisch“ definierten abstrakten Verhaltensweisen und Normen führt dazu, dass man als extremistisch gesinnt ausgewiesen wird. Sowohl rechtsextremistische als auch linksextremistische sowie religiös motivierter sogenannte „islamistischer“ Extremismus werden undifferenziert zusammengefasst.
Der Begriff des Extremismus ist eindimensional und fixiert sich lediglich auf den demokratischen Rechtstaat, ohne die komplexe politisch-gesellschaftliche Realität wahrzunehmen. In aktuellen politischen Positionierungen und Diskursen wird der Extremismus-Begriff jedoch wieder und wieder dazu verwendet, politisch Positionen, die nicht in das durch ihn genormte Bild passen ggf. zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Damit wird der Extremismus-Begriff in der Alltagspraxis zum strategischen Instrument in den Händen der Deutungsmächtigen – hier des Verfassungsschutzamts. Der „Extremismus“ habe den Begriff des Radikalismus abgelöst, weil die derart bezeichneten Personengruppen die Zuschreibung akzeptierten. Nach dem Terminus des Verfassungsschutzes sei „Extremist“ ein Schlüsselbegriff für verhaltensauffällige Bestrebungen, die von den Akteuren selbst aus einer undurchdringlichen Programmatik gerechtfertigt und von ihren Gegnern als Bedrohung durch einen teilungsunwilligen Machtanspruch aufgefasst werde.[5]
Der Begriff des „Extremismus“ und der Verfassungsfeindlichkeit wird weiterhin immer wieder von der Politik aufgegriffen, um den „Sicherheitsdialog“ mit islamischen Gemeinschaften zu rechtfertigen. Den Sicherheitsdialog als solches sehen die Autoren jedoch als problematisch an, weil hiermit eine Stigmatisierung der jeweiligen Organisationen erfolge.[6] Es heißt, dass islamische Gemeinschaften gezielt in Verruf gebracht werden. Es erfolgten Androhungen von Verboten, Sanktionen und die Ankündigung von „Prüfphasen“, um unliebsame Organisationen mittels Verfassungsschutzbericht in Verruf zu bringen.[7]
Der Verfassungsschutz versucht sich darüber hinaus als Mitbestimmer der Definition von religiösen Begriffen, wie beispielsweise „Islamismus“, der als Politisierung des Islams angesehen wird, oder der Begriff „Dschihad“ bzw. „Dschihadisten“, der für gewaltbereite Terroristen verwendet wird. Dies hat zur Folge, dass der „Dschihad“ für viele Menschen mit Krieg und Terror und damit mit etwas Negativem assoziiert wird, was dem Selbstverständnis der hiesigen Muslime widerspricht.
Ein anderes Beispiel: Die Referatsleiterin Rita Breuer ist für den Bereich Islamismus und islamischer Terrorismus Referat 6 im Bundesministerium für Verfassungsschutz (BfV) zuständig gewesen. Als Referatsleiterin und Islamwissenschaftlerin ist sie an Universitäten oder politischen Stiftungen, wie z. B. bei der Friedrich-Ebert-Stiftung oder bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, eine gern gesehene Referentin. Frau Breuer ist auch journalistisch tätig. Sie hat im Herder Verlag Aufklärungsschriften veröffentlicht, die u. a. die Rechtsqualität von Fatwas bescheinige.[8] Derartige personelle Überschneidungen führen dazu, dass auf der einen Seite die Grundlage geschaffen wird, auf die man sich der anderen Seite ohne Weiteres berufen kann.
Ein weiteres Themenfeld im Buch der Autoren ist das Problem der Einbindung von ehemaligen Nationalsozialisten in den nachrichtendienstlichen Geheimdienstapparaten. Bei einem Verbotsantrag im Jahre 2000 gegen die NPD wurde bekannt, dass zwischen 1996 und 2002 „weniger als 15%“ von 560 Personen der Bundes- und Landesvorstandmitglieder der NPD auf der „Lohnliste“ des Verfassungsschutzes standen. Die Partei habe bis zu diesem Zeitpunkt von dem Ausmaß der Unterwanderung nichts gewusst.[9]
[1] Hübner, Gegnerbestimmung – Sozialwissenschaft im Auftrag der „inneren Sicherheit“, S. 59.
[2] Ebd., S. 62.
[3] Ebd., S. 180.
[4] Ebd., S. 70.
[5] Ebd., S. 71.
[6] Ebd., S. 179ff.
[7] Ebd., S. 181.
[8] Ebd., S. 181.
[9] Ebd., S. 59.