Seit Monaten hetzt die Pegida-Bewegung und ihre Ableger gegen Muslime und Flüchtlinge. Im Interview mit dem Extremismusforscher Oliver Decker zeigt sich, wie die Protestbewegung sich zusammensetzt und welche Gefahr für Muslime, Migranten und Flüchtlinge besteht.
Die islamfeindliche Protestbewegung Legida will an diesem Freitag zum dritten Mal in Leipzig marschieren. Sie wird politisch als deutlich weiter rechts eingeschätzt als das Dresdner Vorbild Pegida. Im Interview mit dem Vorstandssprecher des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig, Oliver Decker, zeigt sich wie die Bewegung zu beurteilen ist und welche Gefahr für die Gesellschaft und insbesondere für betroffene Minderheiten wie Muslime und Flüchtlinge besteht..
Kann die Pegida-Bewegung mit ihren verschiedenen Ablegern unserer Demokratie gefährlich werden?
Decker: Aktuell besteht die Gefahr für Andersdenkende oder Migranten und Muslime auf der Straße. Die weitere Gefahr, die von diesen Bewegungen ausgeht, ist mittelfristig und besteht in der Übernahme der entsprechenden Haltungen durch demokratische Parteien, um Wähler an sich zu binden. Das bedroht das politische Klima dann insgesamt, etwa wenn eine Pflicht gefordert wird, auch in den eigenen vier Wänden deutsch zu sprechen. Die Gefahr geht von der Mitte aus, nicht von den Rändern. Insgesamt ist zu beobachten, dass die Wellen rechtsextremer Wortmeldungen in den letzten Jahren kürzer aufeinanderfolgten und auch an Präsenz gewonnen haben. Wir müssen überlegen, wie die demokratische Gesellschaft auf entsprechende Herausforderungen in Zukunft reagieren will.
Zwei Demonstrationen und sehr viel Aggressivität. Wohin wird sich Ihrer Ansicht nach die Legida entwickeln?
Decker: Es zeigt sich, dass Legida bisher stärker als Pegida Zulauf von ausdrücklich rechtsextremen Gruppen erhält. Wir haben in den letzten Jahren eine Entwicklung in der rechtsextremen Szene beobachten können, die von den Parteien weg, hin auf Organisierung ohne Organisation zielte: Junge Erwachsene organisieren sich nicht mehr in Parteien. In der extrem rechten Szene sind Gruppen auf dem Vormarsch, die sich „Freie Kameradschaften“, „Freie“ oder „Autonome Nationalisten“ nennen. Diese sind bei Legida sichtbarer beteiligt, als bei Pegida. Und sie gehören zu dem Spektrum der extremen Rechten, die Gewalt nicht nur billigt, sondern für notwendig hält.
Wie bewerten sie die Zusammensetzung der Demonstranten?
Decker: Bei den Demonstrationen sieht man, dass es eine hohe Bereitschaft gibt, auf rechte Parolen einzusteigen. Legidas Forderungen sind ausdrücklich rechtsextreme Inhalte, die denen im Nazi-Reich ähneln. Man will zweierlei Recht, eins für die Deutschen und eins für die Ausländer. Das ähnelt der Trennung des Rechts zwischen Deutschen und Ausländern in Nazi-Deutschland. Dahinter steckt die Frage, wer darf deutsch sein in Deutschland. Eine Gesellschaft, die sich vor allem über Abstammung definiert, hat eine lange und ungute Tradition in Deutschland. Das war auch im Nazi-Reich so. Es hat lange gebraucht, bis eine republikanische Idee mehr Raum bekam. Das soll nun wieder zurückgedreht werden.
Bei Legida ist die rechtsextreme Szene deutlicher vertreten als etwa bei Pegida. Das zeigt sich etwa am Auftreten der Ordner, aber auch in der Zusammensetzung: die in Leipzig deutlich vertretenen Freien Kräfte werden auch vom Verfassungsschutz als neonazistische Gruppen geführt. Mir scheint, beide Bewegungen sind im Kern eine autoritär strukturierte Bewegung, aber in Dresden waren lange Zeit noch mehr Menschen mit einem konventionellen Weltbild vertreten. Sie sind älter, befürworten möglicherweise Gewalt, würden sie aber selbst nicht anwenden. Denen sind trotz einer ähnlichen politischen Überzeugung die Gewaltbereiten nicht ganz geheuer.
Die Dynamik, die dahinter steckt, nennt man autoritäre Aggression. Das sieht man an der Kehrseite, dem Wunsch nach einem starken Führer. Beispiel ist die Hinwendung zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, der sein Land mit harter Hand führt. Dahinter steckt der Wunsch auf Unterwerfung unter eine Autorität, man will wieder den „starken Mann“ an der Spitze. (dpa/iQ)