Ein halbes Jahr ist nun vergangen. Am 11.8.2014 wurde ein Anschlag auf die Berliner Mevlana Moschee verübt. Fazlı Altın, ehemaliger Präsident der Islamischen Föderation, schreibt, was sich seitdem getan hat.
Es ist der 20.01.2015. Ich bin im Kreuzbergmuseum. Charles von Denkowski hält einen Vortrag zum Thema „kriminologische Erfassung von islamfeindlich motivierten Straftaten“. Anschließend soll ich über den Brandanschlag auf die Mevlana Moschee im August 2014 sprechen. Geplant ist eine knappe Darstellung meiner Erfahrungen mit der Polizeibehörde und der Presse. Aber schon nach zehn Minuten muss ich meinen Vortrag abbrechen. Ich erinnere mich an die Frage meines 9-jährigen Sohnes, als ich mit ihm vor der ausgebrannten Moschee stand. Er fragte mich völlig unschuldig: „Papa, warum tun Menschen so etwas?“ Meine Stimme stockte, ich konnte nicht weiterreden. Offenbar habe ich den Anschlag immer noch nicht verarbeitet.
Mein Sohn hatte eine berechtigte Frage gestellt, auf die ich keine Antwort hatte – bis heute nicht. Der Brandanschlag hat nicht nur Schäden an der Bausubstanz der Moschee hinterlassen, sondern auch tiefe seelische Schäden, bei mir, sowie bei vielen Gemeindemitgliedern. Man spricht über Rückkehr, wie noch nie zuvor. Man spricht nicht mehr über die geplatzten Rückkehrträume der einstigen Gastarbeiter, sondern über reale Pläne von Muslimen, die hier geboren und aufgewachsen sind.
Auf der anderen Seite kann sich die Gemeinde seit dem Brandanschlag erstmals wieder über die Fortführung der Bauarbeiten freuen. Die dringend benötigten Spezialisten für die Innenverzierung der Moschee haben inzwischen ihr Visum erhalten und konnten mit den Arbeiten beginnen. Das Baumaterial wurde geliefert. Jetzt packen alle an. Für die Gemeinde gibt es wieder Hoffnung. Der Bau soll nun endlich fertig gestellt werden. Ich sehe seit langem wieder lächelnde Gesichter. Es geht voran. Und das ist wichtig.
Denn der unfertige Anbau verlieh der Moschee bisher nur den Charakter eines Provisoriums, eine Ersatzunterkunft für eine bestimmte Zeit. Durch den Brand verschlechterte sich dieser Zustand zusätzlich. Die starken Rußschäden haben das Raumbild nachhaltig zum Schlechten verändert. Zwar sind nach der chemischen Reinigung die Rußschäden nicht mehr zu sehen, vor dem geistigen Auge sind die Brandspuren aber noch deutlich zu erkennen, es riecht immer noch verrußt. Der Geruch will nicht abklingen und schwebt wie eine fortwährende Mahnung über der Gemeinde. Alles hat einen vergänglichen Charakter bekommen.
Ein weiterer Lichtblick ist die wachsende Anteilnahme seitens der Gesellschaft. Ende Dezember letzten Jahres spendeten Mitglieder des Bauindustrieverbands NRW e.V., nach einem Vortrag des Vizekanzlers Sigmar Gabriel, der die Mevlana Moschee nach dem Brandanschlag besuchte, Gelder für den Wiederaufbau. Diese Geste weiß die Gemeinde zu schätzen und wird ihr in guter Erinnerung bleiben.
Auch Vertreter der jüdischen Gemeinde besuchten mit Vertretern des Islamrats (IRD) die Mevlana Moschee, um ein Zeichen gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus zu setzen. Dem schloss sich der türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu an, als er im Januar mit einer Delegation von Ministern die Mevlana Moschee besuchte.
Der Tag der offenen Moschee am 3. Oktober 2014 verlief betrübt, weil die Mevlana Moschee nicht tatsächlich für Besucher geöffnet werden konnte. So paradox es klang, hielt die Gemeinde am Tag der offenen Moschee fest. Auf dem Hof der Moschee wurde eine Bildergalerie präsentiert, auf der die Moschee von innen und außen abgebildet war, so wie sie einmal aussehen soll, wenn der Anbau fertig ist. Die Gemeinde reflektierte mit der Bildergalerie ihr Inneres, was vielen aus der Gemeinde half, nach vorne zu schauen.
„Mein einziger Wunsch im Leben ist, dass ich ein einziges Mal in der fertigen Mevlana Moschee beten kann!“, erklärt mir Werner Jahja Schülzke (86) bei einem gemeinsamen Abendessen im Januar. Jahja war über ein Jahrzehnt Vizepräsident der Islamischen Föderation in Berlin, gründete die deutschlandweit einzig anerkannte private islamische Grundschule und hat über zwanzig Jahre nichtmuslimische Besucher durch die Mevlana Moschee geführt und sich ihren Fragen gestellt. Jahja ist für einige aus der Gemeinde ein älterer Bruder, für viele ein Großvater.
Inzwischen wird in der unfertigen Moschee zumindest wieder fünf Mal täglich zum Gebet gerufen. In der Kantine treffen sich Gemeindemitlgieder zum Tee und schauen gemeinsam Nachrichten. Nachrichten über Pegida und die Reaktion der Gesellschaft auf den Anschlag auf das Satiremagazin in Paris sorgen weiter für Unbehagen. Niemand kann ausschließen, dass die Mevlana Moschee in dieser angespannten gesellschaftlichen Atmosphäre nicht wieder Angriffen ausgesetzt wird. Inzwischen geht die Angst weiter: die Gemeindemitlgieder fürchten mittlerweile auch Übergriffe auf sich selbst. Die Freitagsgebete werden trotz allem gut besucht. Das Leben geht weiter.