Kopftuchverbot

Bundesverfassungsgericht kippt Kopftuchverbot

Das Bundesverfassungsgericht erklärte ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen für verfassungswidrig und damit nichtig. Das Schulgesetz in diversen Bundesländern müsse nun überarbeitet werden. Damit entschied das Gericht im Fall einer Klage von zwei Lehrerinnen aus NRW.

13
03
2015
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Heute ist die Presseerklärung zum – lang erwarteten – Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum sog. „Kopftuchstreit“ erschienen. Kern des Beschlusses ist, „dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht vereinbar ist.“ Darüber hinaus erklärte das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen für „nichtig“. Das Kopftuchverbot in den Ländern ist somit nicht verfassungskonform.

Der Beschluss erging zu den Verfassungsbeschwerden von zwei deutschen Musliminnen. Diese weigerten sich, im Schuldienst ein aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch beziehungsweise eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze abzulegen. Zugleich ging es mittelbar um die Vorschriften des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes (§ 57 Abs. 4 und § 58 S. 2 SchulG NRW in der Fassung vom 13.06.2006).

In NRW dürfen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schüler sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschauliche Schulfrieden zu stören (§ 57 Abs. 4 S. 1 SchulG NRW). Ein äußeres Verhalten ist insbesondere unzulässig, wenn es bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Eine Ausnahme gilt für die Darstellung von christlichen und abendländischen Bildungs- und Kulturwerte sowie Traditionen.

Kopftuch keine abstrakte Gefahr

Begründet hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen mit den Argumenten, dass das „Kopftuch“ einer muslimischen Lehrerin keine „abstrakte Gefahr“ für die Störung des Schulfriedens darstelle. Damit erfolgte eine längst überfällige Korrektur Rechtsprechung aus dem Jahre 2003 auf die Klage der Lehrerin Ferestha Ludin. Im Gegensatz dazu müsse eine „hinreichend konkrete Gefahr in einer beachtlichen Anzahl von Fällen für die Störung des Schulfriedens oder die staatliche Neutralität“ feststellbar sein. Das Kopftuch einer Lehrerin alleine stelle hingegen keine konkrete Gefährdung dar.

Damit trägt das Bundesverfassungsgericht der Bedeutung der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG bei. Insbesondere wird betont, dass bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion zu betrachten ist, das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Auch wenn – wie von vielen Politkern und sog. „Islamkritikern“ immer wieder vorgebracht wird – die Bekleidungsvorschriften im Islam unter den islamischen Gelehrten durchaus umstritten sind.

Durch das Verbot, welches im Schulgesetz pauschal normiert wurde, liege ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf die Glaubensfreiheit vor. Eine Rechtfertigung durch eine abstrakte Gefahr sei hierfür nicht ausreichend.

Politische Wende

Der Beschluss ist eine große Wende für die deutsche Politik und Gesellschaft. Dennoch stellt es keinen Freibrief für das Kopftuch bei Lehrerinnen dar. Anlass für Euphorie ist nicht gegeben. Der Beschluss lässt, wie auch die Entscheidung aus dem Jahre 2003 eine breite Interpretationsmöglichkeit für faktische Verbote zu, welches insbesondere durch die gesellschaftspolitische Stimmung bestimmt wird. „Islamkritikern“ wird es sicherlich nicht schwerfallen, eine vermeintlich „hinreichend konkrete Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Anzahl von Fällen“ darzulegen.

Mangels fehlender deutlicher Nachzeichnung der Schwelle der „hinreichend konkreten Gefährdung“ könnte eine Missbrauchsgefahr gegeben sein, die leider aufgrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage nicht unwahrscheinlich scheint. Die konkrete Gefährdung wird – so scheint es zumindest auf Grundlage der Pressemitteilung – nicht alleine von dem Verhalten der kopftuchtragenden Lehrerin abhängig gemacht, sondern solch eine Lage kann auch von Dritten hervorgerufen werden.

Der Beschluss erweckt den Anschein, dass versucht wurde, sowohl der „Minderheit“ als auch der „Mehrheitsgesellschaft“ in Bezug auf Lehrerinnen mit Kopftuch einen „ausgewogenen“ Ausgleich herzustellen. Dass hierbei der § 57 Abs. 4 S. 3 SchulG NRW für nichtig erklärt wurde, überrascht nicht wirklich. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu lediglich aus, dass das Bundesarbeitsgericht eine „Überschreitung der Grenzen verfassungskonformer Norminterpretation“ entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers vollzogen habe. Ein Verstoß gegen die Benachteiligungsverbote (Art. 3 Abs. 3 S. 1 und Art. 33 Abs. 3 GG ) ist evident.

Nichtsdestotrotz ist der Beschluss zu begrüßen und sicherlich ein positives Signal an die Politik, da er ein Spiegelbild der verfassungsrechtlichen Realität darstellt.