Das Aus des Kopftuchverbots für muslimische Lehrerinnen hat bundesweit Debatten provoziert. Nordrhein-Westfalen, das Land mit dem höchsten Anteil an Muslimen, diskutiert jetzt über konkrete Folgen des Urteils.
Nach der Aufhebung des generellen Kopftuchverbots für Lehrerinnen an Schulen durch das Bundesverfassungsgericht streben die Regierungsfraktionen im Düsseldorfer Landtag eine rasche Änderung des Schulgesetzes an. In dem Gesetz werde künftig auf ein Kopftuchverbot verzichtet werden, hieß es am Montag nach einer Sitzung der SPD-Fraktion. Am Ende müsse die Entscheidung bei der jeweiligen Schulleitung und Schulkonferenz liegen, ob eine kopftuchtragende Lehrerin den Schulfrieden stört. In diesem Fall könne sie weiterhin von der Schule entfernt werden.
Das Karlsruher Urteil hat an den Schulen im bevölkerungsreichsten Bundesland Hoffnungen und Befürchtungen geweckt. Die Neuregelung werde vor allem die Schulleiter vor große Herausforderungen stellen. Es sei schwierig, im Schulalltag eine mögliche Gefährdung einzuschätzen, sagt Hubert Bertke, Leiter der Adolph-Kolping-Schule in Lohne. Bei Fehlentwicklungen könne es sogar zu gegenseitigen Bespitzelungen im Lehrerkollegium kommen. Dadurch werde eine freie und kreative Arbeit der Lehrer massiv eingeschränkt. VBE-Landeschef Udo Beckmann sieht auch nach dem Urteil bei kopftuchtragenden Lehrerinnen „eine Verletzung der Neutralitätspflicht“. Für den Vorsitzenden des NRW-Philologenverbandes, Peter Silbernagel, öffnet die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts weitere Spielräume für ein Kopftuchverbot. „Es wird zu Auslegungsschwierigkeiten kommen“, vermutet er.
Dagegen will die rot-grüne Koalition das von der schwarz-gelben Vorgängerregierung 2006 im Schulgesetz verankerte Kopftuchverbot komplett kippen. SPD und Grüne hatten das Gesetz stets für falsch gehalten. Angesichts etwa 20 kopftuchtragender Lehrerinnen an NRW-Schulen sei das Vorgehen völlig überzogen gewesen. Bei ihrer kritischen Haltung hatte Rot-Grün auch die Rückendeckung der Kirchen. In der parlamentarischen Beratung hatten die Kirchenvertreter seinerzeit betont, dass Schulen nach der Landesverfassung – anders als in laizistischen Staaten – „kein religionsfreier Raum“ seien. Da das Kopftuch „keinen Rückschluss auf verfassungsfeindliches Gedankengut“ zulasse, werde mit seinem Verbot für Lehrerinnen „integrationspolitisches Porzellan“ zerschlagen, warnte die katholische Kirche damals.
Vertreter der muslimischen Verbände hatten wiederholt an Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) appelliert, das Kopftuchverbot wenigstens für muslimische Religionslehrerinnen zu lockern. Viele Islamkunde-Lehrerinnen scheuten eine notwendige Zusatzausbildung, weil sie ihre religiösen Symbole im Unterricht nicht ablegen wollten. Nun sieht Löhrmann „eine klare Perspektive“ für diese Lehrerinnen.
Derzeit wird islamischer Religionsunterricht für 4.500 muslimische Schüler an 36 Grundschulen und 25 weiterführenden Schulen in NRW erteilt. Für den Ausbau stehen landesweit nur 50 Lehrkräfte zu Verfügung. Mit der Abschaffung des Kopftuchverbots soll eine wichtige Hemmschwelle für Muslimas fallen. Das Urteil schaffe für diese Lehrerinnen Sicherheit, so die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Renate Hendricks: „Das Kopftuchverbot ist Makulatur.“
CDU-Oppositionsführer Armin Laschet hat bereits zugesichert, den Gesetzgebungsprozess „im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konstruktiv“ zu begleiten. Die FDP-Fraktion drängt aber bei der Umsetzung auf die „weltanschauliche Neutralität des Staates“. In allen Schulen müsse gewährleistet sein, „dass keine Schülerin unter Druck gesetzt wird, ein Kopftuch zu tragen“, so Fraktionsvize Joachim Stamp. Diese „individuelle Privatsache“ dürfe nicht von religiösen Autoritäten im Unterricht verordnet werden. (KNA)