Muslime, die im Gefängnis sitzen, brauchen spezielle Unterstützung. Gefängnisseelsorger für Muslime könnten bei der Resozialisierung helfen und Radikalisierung vermeiden.
Der türkische Imam Telat Ergin sitzt vor einem vergitterten Fenster mit Blick auf Stacheldraht und hohe Betonmauern. Der 35-Jährige schließt die Augen, hält die Hände mit den Handflächen nach oben und betet. Auf Türkisch singt und spricht er in der Heilbronner Justizvollzugsanstalt Verse aus dem Koran. Ergin ist seit 15 Jahren Imam, sein Theologiestudium hat er in der Türkei abgeschlossen. Seit 2012 betreut der 35-Jährige eine Heilbronner Moschee und besucht jeden zweiten Mittwoch die Häftlinge im Gefängnis.
„Wir wollen Radikalisierungen im Gefängnis verhindern, indem wir den wahren Islam lehren und nicht das, was die Fundamentalisten daraus gemacht haben“, sagt Ergin. Sein Deutsch ist noch nicht so gut. So hilft der Vorstandsvorsitzende der Ditib in Baden-Württemberg, Erdinc Altuntas, beim Übersetzen.
Seit den Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen wird das Thema Radikalisierung in Gefängnissen auch in Deutschland diskutiert: Ein Imam in Hessen forderte fest angestellte Seelsorger, das Land Nordrhein-Westfalen kündigte an, mehr Imame zu beschäftigen. Auch Baden-Württemberg wappnet sich im Kampf gegen den Terror: „Wir nehmen die Gefahr einer möglichen Radikalisierung von Gefangenen in Justizvollzugsanstalten sehr ernst“, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. Die Attentäter von Paris hatten sich im Gefängnis kennengelernt, der Attentäter von Kopenhagen war kurz vor der Tat aus der Haft entlassen worden.
Zur Seelsorgestunde mit Ergin haben sich drei muslimische Häftlinge in den Schulungsraum gesellt und berichten von ihren Sorgen. Ihre Anliegen sind unterschiedlich: Der eine bittet Ergin, das Morgengebet des Ramadan auch im Gefängnis zu sprechen. Der andere wünscht sich Döner zum Mittagessen. Ergin und Altuntas versprechen, sich um die Wünsche der Häftlinge zu kümmern. Doch in einem sind sich alle einig: Sie wollen mehr Unterstützung durch einen fest angestellten muslimischen Seelsorger.
Von den insgesamt 6500 Gefangenen im Südwesten sind laut dem Justizministerium rund 20 Prozent muslimisch. Die katholische und evangelische Gefängnisseelsorge hat in den 17 Anstalten in Baden-Württemberg 24 fest angestellte Betreuer. Laut Altuntas betreut der Verband jedes Gefängnis durch einen ortsansässigen Imam auf Stundenbasis. Das ist ihm aber noch zu wenig: „Die Politiker sollten langsam begreifen, dass der Islam eben doch zu Deutschland gehört und ihn als Religionsgemeinschaft anerkennen“, sagt Altuntas. „Das würde vieles erleichtern, eben auch die Seelsorge im Gefängnis.“
Gerade im Gefängnis sollte darauf geachtet werden, dass Fundamentalisten den oftmals labilen Zustand der Häftlinge nicht ausnutzen, meint Ergin. „Im Gefängnis haben die Menschen einen viel intensiveren Bezug zum Glauben. Es ist häufig das einzige, woran sie sich klammern können“, sagt er. „Und das kann auch schnell gefährlich werden.“
Der Verein des interreligiösen Dialogs in Mannheim bietet bald Ausbildungskurse für ehrenamtliche Gefängnisseelsorger mit Bekenntnis zum Islam an. Demnach könne es die ersten im Südwesten ausgebildeten Seelsorger bereits im Jahr 2016 geben, teilte das Justizministerium mit. Die Seelsorger könnten dann die Arbeit von Imamen wie Telat Ergin unterstützen und die Häftlinge in ihrem Glauben bestärken. Eine langfristige Bindung hat große Vorteile, findet Ergin: „Viele Ex-Häftlinge, die ich hier betreut habe, kommen später in meine Moschee und sind dankbar, dass ich ihnen eine Orientierungshilfe war.“
Das Justizministerium setzt auf landesweite Fortbildungsangebote für Justizvollzugsbeamte, enge Kooperationen mit den Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden und dem Verfassungsschutz sowie länderübergreifende Fachveranstaltungen. Dies soll dabei helfen, Radikalisierungen zu verhindern. Von schätzungsweise 550 Salafisten in Baden-Württemberg stufen die Sicherheitsbehörden 120 als gewaltbereit ein. In Gefängnissen sitzen derzeit vier Männer ein, bei denen radikal-islamistisches Gedankengut besteht.
Bislang werden die meisten muslimischen Seelsorger in der Türkei ausgebildet. „Ein Festangestellter im Gefängnis müsste die deutsche Sprache auf jeden Fall fließend beherrschen“, sagt Altuntas. Denn auch viele nicht-türkische Inhaftierte hätten dann einen Anspruch auf seine seelsorgerischen Dienste. „Die Sprache ist der Schlüsselbegriff“, sagt der baden-württembergische Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, Alexander Schmid. (dpa)