Internationale Woche gegen Rassismus

Eine muslimische Perspektive auf Rassismus

Die Vielfalt der Menschen ist eine Realität. Doch genauso ist es eine Tatsache, dass man lernen muss, diese Vielfalt als Reichtum zu betrachten. Wie eine muslimische Perspektive auf das Thema Rassismus aussehen kann, zeigt Ali Mete.

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03
2015

Immer wieder und immer öfter hört man rassistische Äußerungen, manchmal bewusst als Provokation, aber oft auch unbewusst. Im Grunde steckt dahinter folgende Einstellung: Menschen, die einer anderen Ethnie, Kultur, Religion oder sozialen Schicht angehören, sind minderwertiger als man selbst. Sie sind benachteiligt oder werden gar unterdrückt. Deshalb ist ihre politische und soziale Unterdrückung gerechtfertigt und die Befreiung aus ihrer unglücklichen Lage notwendig.

Rassistischen Gedanken und Äußerungen hat es schon immer gegeben. Beunruhigend ist aber, dass sie eine überraschende Virulenz gewonnen haben und inzwischen die vielbesagte „Mitte der Gesellschaft“ erreichen konnten. Insbesondere Formen des antimuslimischen Rassismus – oft unter dem Deckmantel der sogenannten Islamkritik –, aber auch Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, sind in erschreckender Weise – wieder – salonfähig geworden. Damit kann man Politik machen und auch Wahlen gewinnen, wie zuletzt die Europawahlen 2014 gezeigt haben.

Wie kann die Problematik des Rassismus aus muslimischer Perspektive betrachtet werden? Was sagen die religiösen Quellen dazu, und wie sollen Muslime mit dem Problem umgehen?

Islamische Sichtweise auf den Rassismus

Im Grunde ist die islamische Sichtweise auf den Rassismus schnell erklärt. Denn der Prophet Muhammad (s), dessen Worte und Taten den Muslimen als zweite Quelle nach dem Koran dienen, sagte klar und deutlich: „Wer zum Rassismus aufruft (1), gehört nicht zu uns; wer im Namen von Rassismus kämpft, gehört nicht zu uns.“ (2)

Eine klare Ansage. Aber dass es nicht einfach ist, fremdenfeindliche Ansichten zu erkennen, sehen wir schon zu Lebzeiten des Propheten. Einmal wurde er gefragt: „O Gesandter Gottes, ist es Rassismus, wenn jemand seinen Stamm liebt?“ Der Prophet antwortete: „Nein, ist es nicht. Rassismus ist, wenn jemand seinem Stamm bei dessen Ungerechtigkeit unterstützt.“ (3)

Die Antwort des Propheten macht deutlich, dass ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl, eine Verbundenheit zum Eigenen durchaus möglich, ja menschlich ist. Dies stellte auch der bekannte muslimische Historiker Ibn Haldûn fest. Für ihn war die „Asabiyya“, also das Gruppengefühl bzw. die Gruppendynamik eines der Merkmale aufsteigender und zerfallender Gesellschaften.

Die höchste Form der Asabiyya war für Ibn Haldûn der Islam. Denn dieser sei ein einigendes Band und höchste Motivation, die über die stammesbezogene oder auch die ethnische Asabiyya hinausgeht. Oder, um es mit den Worten des Propheten zu sagen: „Sobald sie Muslime geworden sind, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen einem kurayschitischen Herrn und einem abessinischen Sklaven.“ (4)

Die Grenze des Zugehörigkeitsgefühls ist also dann erreicht, wenn man zu den Seinigen hält, auch wenn diese Unrecht begehen. Der blinde Gehorsam gegenüber der eigenen Ethnie, der eigenen Gemeinschaft, und der Glaube daran, dass die eigene Gesellschaft allen anderen überlegen ist, während andere minderwertig sind, sind Merkmale der Rassismus.

Gemeinsamer Ursprung

Dabei haben nach muslimischem Verständnis alle Menschen denselben Ursprung. Adam (a) war der erste Mann und Eva (r) die erste Frau auf Erden. Alle Menschen stammen von ihnen ab, sind also Geschwister. Aber es waren die Geschwister Kain und Abel, Söhne von Adam und Eva, unter denen zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ein Streit aufgrund von Neid und Feindschaft ausbrach.

Seitdem haben verbale und nonverbale Konflikte, die auch auf Hass und Rassenkonflikten beruhen, kein Ende gefunden – und werden es wahrscheinlich auch nicht. Dies liegt anscheinend in der Natur des „schwachen, hitzigen und ungeduldigen“ Menschen, wie er im Koran beschrieben wird.

Die Menschen haben aber auch immer wieder friedliche und gerechte Wege gefunden, zusammenzuleben. Sie sind Kompromisse eingegangen, haben Verstand über Emotionen siegen lassen, sie haben ganze Staatenbündnisse geschlossen, um das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kultur, Herkunft, Religion und Sprache zu gewährleisten.

Koran: Vielfalt als Realität

Der Koran jedenfalls spricht von unterschiedlichen „Völkern und Stämmen“ als einer Realität. „O ihr Menschen! Wir erschufen euch aus einem Mann und einer Frau und machten euch zu Völkern und Stämmen, damit ihr einander kennenlernt. Doch der vor Allah am meisten Geehrte von euch ist der Gottesfürchtigste unter euch. Allah ist fürwahr wissend, kundig.“ (5)

Doch wenn alle von Adam und Eva abstammen, wieso gibt es so viele und ganz unterschiedliche Menschengruppen? Diese Frage beantwortet der Vers mit: „damit ihr einander kennenlernt“. Das heißt, aus islamischer Sicht ist die menschliche Vielfalt gottgewollt. Die Menschen sollen sich in dieser Vielfalt entfalten, Differenzen erkennen, sich davon bereichern lassen und lernen, mit diesen Unterschieden umzugehen.

In einem anderen Koranvers werden diese Unterschiede sogar als „Zeichen Gottes“, also als ständige Erinnerung an die göttliche Allgegenwart, bezeichnet. In dem entsprechenden Vers heißt es: „Zu seinen Zeichen gehört auch die Schöpfung der Himmel und der Erde und die Verschiedenartigkeit eurer Sprachen und eurer (Haut-)Farben. Darin sind fürwahr Zeichen für die Wissenden.“ (6)

Takwâ: Das Maß aller Dinge

Gott kennt seine Geschöpfe am besten. Er weiß, dass es zu Konflikten unter den Menschen kommen wird. Deshalb wird im Vers sofort klargestellt: Vielfalt ist zwar gewollt, aber sie ist nicht das Maß aller Dinge. Das Maß ist der Grad des Bewusstseins seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, Takwâ genannt. Egal wo und wann man lebt, egal mit wem man zusammenlebt, der „Wert“ oder die „Würde“ eines Menschen hängt im Islam nicht von seiner Herkunft ab.

Das hat auch der Prophet Muhammad (s) eindrucksvoll formuliert, als er gegen Ende seines Lebens vor Zehntausenden Gläubigen folgende Worte sprach: „O ihr Menschen! Euer Herr ist eins; euer Vater ist auch eins. Außer aufgrund von Gottesfurcht, ist kein Araber einem Nichtaraber und kein Nichtaraber einem Araber, kein Weißer einem Schwarzen, kein Schwarzer einem Weißen in irgendeinem Punkt überlegen. Für Allah ist der Gottesfürchtigste unter euch der Wertvollste.“ (Ahmad b. Hanbal, Musnad, VI, 11)

Pilgerfahrt: Praktische Konfliktvorbeugung

Ein Beispiel dafür, wie Muslime Vielfalt lernen, ist die Pilgerfahrt (Hadsch). Sie ist eine Gelegenheit, um die Vielfalt innerhalb der muslimischen Gemeinschaft (Umma) zu sehen und hautnah zu erleben. Hier treffen sich alljährlich Millionen Muslime aus der ganzen Welt.

Sie beten gemeinsam und umkreisen die Kaaba, wobei sie mit all ihren Unterschieden in der großen Menschenmenge aufgehen, die sich um das Zentrum der Welt, also Gott, dreht. Gemeinsam stehen die Gläubigen während der Wakfa, Schulter an Schulter, lassen ihr Leben Revue passieren und bitten Gott um Vergebung. Als Zeichen der Demut und Vergänglichkeit tragen die (männlichen) Pilger das sogenannte Ihrâm-Gewand. Nun sind alle eins, ohne jedwede Hinweise auf ihren Status und ihre Herkunft.

Und wenn am Ende das Kurbanfest gefeiert wird, bei dem die Muslime das Fleisch ihrer Opfertiere mit den Armen und Bedürftigen überall auf der Welt teilen, dann umarmen sich Muslime aus den verschiedensten Regionen der Welt.

Ziel und Sinn der Pilgerfahrt ist es, gereinigt von allen Sünden, dieses Bewusstsein der Geschwisterlichkeit aller Menschen, egal ob Muslim oder nicht, auch nach der Pilgerfahrt zu leben.

Malcolm X

Ein gutes Beispiel für den antirassistischen Einsatz ist der afroamerikanische Bürgerrechtler Malcolm X. Einst arbeitete er als führendes Mitglied der rassistischen „Nation of Islam“ für die Befreiung des „schwarzen Mannes“ von der „weißen Herrschaft“.

Nach seiner Pilgerfahrt (im Jahr 1964) legte er seine rassistischen Ansicht über Weiße ab. Denn er hatte „vom selben Teller gegessen, aus dem selben Glas getrunken und im selben Bett geschlafen und zum selben Gott gebetet wie (…) (seine) muslimischen Glaubensbrüder mit ihren blauen Augen, blonden Haaren und ihrer weißen Haut“. Er erkannte, dass das eigentliche Problem der Rassismus selbst ist.

Fußnoten:

(1) Arabisch „Asabiyya“; Laut dem Wörterbuch von Hans Wehr zu übersetzen als u. a. leidenschaftliche Parteinahme, Fanatismus, Gemeinschaftsgeist, Stammeszusammenhalt, Rassen bzw. Volksbewusstsein.
(2) Muslim, Imâra, 53
(3) Ibn Mâdscha, Fitan, 7
(4) Ahmad b. Hanbal, Musnad, II, 488
(5) Sure Hudschurât, 49:13
(6) Sure Rûm, 30:22

Leserkommentare

Robert Meßner sagt:
Ihr Artikel bedient leider nur das Thema Rassismus gegen den Islam und wie Moslems dies betrachten sollen. An keiner Stelle wird über Verachtung von Moslems gegenüber nicht Moslems, insbesondere Juden, oder Europäern eingegangen. Diese sind laut ihrem Artikel keine Moslems. Dies impliziert, dass ekn Grossteil besonders jugendlicher Moslems, nach Ihrer Ausführung haram wären. Doppelmoral? Bin gespannt ob dieser Kommentar beantwortet oder gelöscht wird.
16.10.16
4:21