Islamische Organisationslandschaft

„Die schweigende Mehrheit schweigt immer noch“

Das neu gegründete „Muslimische Forum“ wirbt damit „humanistisch“ und „liberal“ zu sein, gleichzeitig wird die Plattform von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Wir haben mit dem Journalisten Eren Güvercin über das Forum und über die sogenannte „schweigende Mehrheit“ gesprochen.

25
04
2015

IslamiQ: Wie bewerten Sie den Umstand, dass das „Muslimische Forum“, welches die Mehrheit der Muslime vertreten möchte, von der der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird?

Eren Güvercin: Dass sich eine Gruppe von Muslimen zusammen tut und ein Muslimisches Forum Deutschland gründet, ist grundsätzlich eine gute Sache. Wenn man sich allerdings die Gründungserklärung genau durchliest, wird man schon stutzig. Sich selber schmückt man sich mit Labels wie „humanistisch“, „liberal“ etc., und erweckt bewusst den Eindruck, als ob die etablierten muslimischen Gemeinschaften genau das Gegenteil seien. Das ist schon eine Dreistigkeit.

Dass eine renommierte Stiftung wie die Konrad-Adenauer-Stiftung solch eine Initiative mit dieser Gründungserklärung unterstützt, ist der eigentliche Skandal. Schon der Liberal-Islamische-Bund hatte diese aggressive Rhetorik gegen die „konservativen“ Muslime gefahren. Das ist nichts Neues. Die neue Qualität bei diesem Forum ist, dass hier ein politischer Akteur sich einen Ansprechpartner für die so genannte „schweigende Mehrheit“ selbst backt. Diese Sprecher der „schweigenden Mehrheit“ kann mit einer „Partei der Nichtwähler“ vergleichen, die zwar keine Wähler hat, aber für sich beansprucht für die 40% der Bevölerkung zu sprechen, die nicht zur Wahl geht.

Einerseits kritisiert man leidenschaftlich die Auslandsfinanzierung, betreibt aber selber eine Inlandsfinanzierung, die eine ideologisch-politische Einflussnahme in die Belange der muslimischen Community zum Ziel hat.



IslamiQ: Der CDU-Politiker Franz Josef Jung begrüßt das neue Forum für Muslime, außerdem werde mit dem „Zusammenschluss einflussreicher Muslime“ eine Lücke geschlossen. Das Forum orientiere sich an humanistischen Werten und bekenne sich „ohne Ausnahme zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Dies sei ein guter und wichtiger Ansatz, so der religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Welche Folgen haben Aussagen wie diese auf die Reputation der anderen islamischen Religionsgemeinschaften?

Güvercin: Es ist erstaunlich, dass man mit den etablierten Religionsgemeinschaften auf Landesebene und Bundesebene zusammen arbeitet, etwa wenn es um den Islamischen Religionsunterricht geht, aber durch diese Aussage von Jung wird wieder klar, dass man eigentlich gerne mit Vertretern einer muslimischen Randgruppe diese Themen behandeln würde. Mich würde einmal interessieren, wie die Kirchen darauf reagieren würden, wenn eine politische Partei künstlich neben den Kirchen christliche Randgruppen als Ansprechpartner nehmen würde. Ich glaube, da würden Kirchenvertreter auf die Barrikaden gehen. Oder anders gesagt: die Politik würde sich so etwas erst gar nicht trauen. Bei den Muslimen kann man es ja versuchen.



IslamiQ: Was ist verkehrt daran, dass Muslime, die sich von anderen Verbänden nicht vertreten fühlen, zu einer Vereinigung zusammenschließen ?

Güvercin: Daran ist gar nichts verkehrt. Jeder hat das Recht dazu. Nur hier geschieht das durch eine Hilfe einer Parteistiftung. Wir reden ja oft von der Trennung zwischen Religion und Politik. Scheint bei Muslimen nicht zu gelten, wenn der deutsche Staat oder deutsche Parteien den aktiven Teil ausmachen. Man muss sich natürlich auch die Gründungserklärung anschauen. Sie bedient die bereits vorhandenen Ressentiments gegenüber Muslimen: nicht humanistisch, nicht liberal, nicht grundgesetztreu. Wenn so eine Erklärung auch noch ein Prof. Khorchide, der die Lehrerlaubnis vom Koordinationsrat der Muslime (KRM) hat, also den etablierten islamischen Religionsgemeinschaften, mitverfasst, ist es umso absurder.

Auch sehr interessant sind die Teilnehmer dieses Forums: beispielsweise der libanesische Christ Ghadban, er hat jahrelang massiv gegen aktive Muslime geschossen und diese als Islamisten markiert. Da können so einige Muslime ein Lied davon singen.



IslamiQ: Wie kommt es, dass religiöse Gemeinschaften, die eigentlich keine breite Basis haben mehr Medienpräsenz zeigen können/ vermeintlich „mehr zu sagen“ haben, als jene, die viele Mitglieder vertreten?

Güvercin: Das ist in der Tat erstaunlich. Wie ich eben schon sagte: die Medien sind leidenschaftlich bei der Sache, wenn es um die Auslandsfinanzierung der Moscheegemeinden geht, aber der Eingriff von politischer Seite aus Deutschland wird kaum bis gar nicht thematisiert.

Andererseits bedienen die Akteure in diesem Muslimischen Forum Deutschland die Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft. Man weiß genau, was die Politik oder die Medien hören wollen, um ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung zu bekommen. Das ist also ein politischer Islam, nur in seiner politisch korrekten Form. Nur für wen sprechen diese Akteure? Seltsam ist, dass die schweigende Mehrheit immer noch schweigt.

Diese Konstruktion, wie auch ihre Vorgänger, werden bald wieder eingestampft werden. Es ist eine künstliche Konstruktion. Ein „Forum“ wird diese Runde nie sein, weil sie die Mehrheit der Muslime und Moscheegemeinden ins schlechte Licht rückt und kein Interesse an einem Austausch hat.

Leserkommentare

Muhammed-Ronald Wellenreuther sagt:
Das Interview mit Eren Güvercin ist für mich eine einzige Enttäuschung. Ich teile natürlich mit ihm die Ansicht, dass das MFD grundsätzlich eine gute Sache ist. Das war es dann aber leider auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Die Gründungserklärung, die ich eben noch einmal im genauen Wortlaut durchgelesen habe, unterstellt den etablierten muslimischen Gemeinschaften keinesfalls eine unliberale, inhumanistische oder undemokratische Haltung. Kann es sein, daß hier „getroffene Hunde bellen“ wie man so schön im Deutschen sagt? Ich empfinde diese Aussage von Güvercin eher als Dreistigkeit! Die nächste Dreistigkeit folgt im zweiten Absatz, in dem Güvercin dem Liberal Islamischen Bund Deutschlands (LIB) eine „aggressive Rhetorik gegenüber den konservativen Muslimen“ unterstellt. Herr Güvercin möge für solch kühne Behauptungen doch bitte erst einmal die Nachweise erbringen. Als nächstes mißbraucht Güvercin den Begriff „schweigende Mehrheit“ (dahinter steckt die recht simple Tatsache, daß die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime ungeachtet ihrer nationalen Herkunft nicht in einer der etablierten konservativen muslimischen Gemeinschaften als Mitglied vertreten ist) und unterstellt den Initiatoren des MFD (und indirekt dem LIB), sich zum Fürsprecher und Sachwalter dieser „schweigenden Mehrheit“ zu machen. Das ist falsch. Die Initiatoren des MFD bieten mit ihrer Gründungserklärung allen Muslimen die Möglichkeit einer neuen Plattform der Interessensartikulierung an, die es bislang in Deutschland in dieser Form nicht gab. Ich als deutscher Muslim sehe in der Gründung des MFD (und das gilt gleichermaßen für den LIB e.V.) keine Konkurrenz zu den etablierten konservativen Interessensvertretungen, sondern eine ebenso sinnvolle wie längst überfällige Ergänzung des Spektrums muslimischer Interessensvertretungen in Deutschland, die einer offenen, demokratischen, rechtsstaatlichen, pluralistischen, multikulturellen Gesellschaftsverfassung gut zu Gesicht steht. Ich selbst bin Angehöriger der hier zitierten „schweigenden Mehrheit“ und in keiner der etablierten konservativen muslimischen Interessensvertretungen als Mitglied beheimatet. Ich habe aber als deutscher Muslim keinerlei Probleme, mich im Rahmen meiner Religionsausübung und sozialen Interaktionen sowohl in den konservativen muslimischen Einrichtungen (z.B. lokaler Moscheeverein) als auch in den in den letzten Jahren neu entstanden muslimischen Gremien oder Plattformen mit einer etwas progressiveren Geisteshaltung zu bewegen. Es gibt für mich keinen Alleinvertretungsanspruch jedweder muslimischen Interessensvertretungen in Deutschland. Mit dem Vorwurf, die Konrad Adenauer Stiftung würde mit der MFD Initiative Inlandsfinanzierung in Verbindung mit einer politisch-ideologischen Einflußnahme in die Belange der muslimischen Community betreiben, betritt Güvercin das Feld der Demagogie. Erstens gibt es keine homogene muslimische Community. Das versuchen uns die konservativen muslimischen Interessensverbände zu suggerieren, um ihren (Allein) Vertretungsanspruch gegenüber dem deutschen Staat und der deutschen Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Stiftungen wie die Konrad Adenauer Stiftung haben aus Gründen ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung aus meiner Sicht nachgerade die Aufgabe, die Gründung von Projekten wie das MFD zu unterstützen. Die Parteizugehörigkeit (solange es sich um rechtstaatliche und demokratische Parteien handelt) ist für mich ohnehin zweitrangig. Das als vermeintliche „(staatliche) Innenfinanzierung“ zu bezeichnen und dann den Analogieschluß zur Auslandsfinanzierung von Berufsimamen zu ziehen, halte ich für sehr fragwürdig. Vielleicht „bellt auch hier wieder ein getroffener Hund“ (DITIB läßt vor dem Hintergrund des österrichischen Sonderweges grüßen!). Mit dem Kirchenvergleich im nächsten Absatz kommt dann wieder die unvermeintliche Opferrolle ins Spiel, in die sich Muslime oder besser gesagt ihre Interessensvertreter hierzulande argumentativ gerne manövrieren. „Die Kirchenvertreter würden auf die Barrikaden gehen, aber mit den Muslimen kann man ja es machen“. Ach du liebe Güte!! Ich kann es langsam nicht mehr hören!!! Die Kirchen haben als Körperschaft öffentlichen Rechts rein formal einen anderen Status als die muslimischen Interessensverbände, die dies eben nicht sind. Es würde gerade den Kirchen guttun, wenn sich christliche Randgruppen als offizielle Ansprechpartner formieren und anerkannt würden. Die stetig steigende Zahl von Kirchenaustritten spricht doch für sich. Im letzten Absatz lehnt sich Güvercin mit seiner Prophezeihung, das MFD wäre mit „künstlichen Eigenschaften und schlechten Absichten behaftet und hätte deshalb keine Überlebenschance", dann endgültig zu weit aus dem Fenster. Diese Haltung ist borniert, aber bezeichnend für so manchen Sachwalter der konservativen muslimischen Interessenverbände, die anscheinend ihre „vermeintlichen Felle davonschwimmen sehen“. Ich garantiere Herrn Güvercin, daß ich als deutscher Muslim und Mitglied der „schweigenden Mehrheit“ meinen Beitrag leisten werde, daß Gremien oder Vereine mit liberaler muslimischer Geisteshaltung, in denen ich mich betätige, nicht zur „Eintagsfliege“ mutieren und „eingestampft“ werden. Insallah!!
29.04.15
11:20
Mohammad Al-Faruqi sagt:
Lieber Herr Güvercin, salaam, vielen Dank für Ihre kristallklare Analyse der Hintergründe und Begleitumstände dieser neuen Fehlkonstruktion. Ich erinnere daran, dass bereits Otto Schily vor einigen Jahren in seiner Eigenschaft als Innenminister mit seiner Muslimischen Akademie etwas ähnlich Schräges versucht hat. Diese Akademie ist seit ihrer Gründung für das Leben der Muslimischen Gemeinschaft in Deutschland vollkommen irrelevant und bedeutungslos. Das bestenfalls Multireligiös zu nennende Forum Deutschland (MFD) ist auf dem besten Weg ein ähnliches Schicksal zu erleben, und das wird auch gut so sein. Dass ein Herr Wellenreuther, der sich in einem anderen Kommentar auf islamiq als "liberaler/toleranter/progressiver" Muslim geriert, auf Ihre sachliche Analyse derart emotional reagiert, erstaunt mich nicht. Inhaltlich überzeugt sein von Vorurteilen über die existierenden Verbände nur so strotzender Beitrag an keiner Stelle. Da Herr Wellenreuther Vergleiche mit Hunden zu mögen scheint, will ich mit einer konfuzianischen Weisheit zum Ende kommen:"Ein Hund ist nicht deshalb gut, weil er tüchtig bellen kann; ein Mensch ist nicht deshalb weise, weil er tüchtig reden kann, und viel weniger groß!" Oder wie die Schweizer es sagen: "Man kann den Hunden das Bellen nicht verbieten". Lieber Herr Güvercin, gut gemacht! wasalaam m.al-faruqi
07.05.15
11:27
Charley sagt:
Vielleicht auch erst mal den Begriff Humanismus klären? Ist vielleicht im Zusammenhang mit einem gotteszentrierten Islam so was wie ein schwarzer Schimmel? Insofern ein spannender Ansatz in dem Verein, der wenigstens ein Problem aufgreift, das in der religiösen Alltagsfolklore verdrängt werden kann, dass aber im Menschenbild des Islam bis heute nicht geklärt ist.
20.12.15
11:34